Ich forsche im Bereich ML mit Schnittstelle zu WiWi.
Ich denke der Konsens, der sich hier gebildet hat, erklärt das Phänomen schon ganz gut.
Selbst in der Forschung gibt es unterschiedliche Bereiche, in denen "Data Science" abgehandelt wird. Wenn man jetzt damit ML meint, gibt es schon direkt vier "Tiers". Zuerst einmal die Leute, die wirklich an ML selber forschen. Das ist stark CS zentrisch und findet an oben genannten Adressen statt. Zweitens gibt es jene, die diese Verfahren inkrementell weiterentwickeln oder deren Anwendung verbessern (z.B. Reduzierung von benötigen Parametern). Hier ist das Feld etwas breiter. Drittens gibt es Forscher, die die Vorteile von ML Algorithmen in klassischen statistischen Fragestellungen nutzen. Beispielsweise sei der Komplex von "Causal Analysis with ML" genannt. Viertens gibt es Forscher, die neue Algorithmen einfach anwenden, um Sachfragen zu bearbeiten, zum Beispiel die Anwendung von NLP Algorithmen um Steuerdaten anzureichern.
Die mathematischen Fähigkeiten und der mathematische Anspruch in dabei nicht monoton. Es ist nicht so, dass CS Forscher besonders "gut" in Mathe sind, und Mathematiker sind über mehrere dieser "Tiers" verteilt. So findet man häufig extrem kompetente Ökonometriker, die in formalen Bereichen viel mehr "können" als CS. Ebenso sind top Forscher in Wiwi, selbst wenn sie konkrete Fragestellungen beantworten, mathematisch extrem stark.
Nehmen wir z.B. Esther Duflo (Nobel Price), die hauptsächlich Fragen über Armut und Ungleichheit sehr praktisch beantwortet, aber "nebenbei" an der Methodologie über kausales Learning arbeitete. Oder Susan Athey (JBC Medal), die auch sehr praktische Papiere schreibt, aber neben diesen "high impact" Projekten auch hardcore Spieltheorie Werke abgeliefert hat.
Höchste mathematische Fähigkeiten sind heutzutage als Erfolgsfaktor anerkannt. US Universitäten ermöglichen das auch - viele Top Leute haben einen Mathe major, double-major oder zumindest minor.
Daran liegt es kaum - VWLler die in der ML Forschung weit oben mitspielen gibt es, wird es geben und man könnte sie auch bekommen.
Der Knackpunkt ist jetzt folgendes: All jenes hat im Endeffekt sehr wenig mit Data Science im Unternehmen zu tun.
Als Berater interessiert einen erstmal: Kann man das als Plattform umsetzen? Wie ist die Infrastruktur? Wie "scaled" das? Ist das flexibel? Schnell genug? Wie sehen die Daten aus?
Als Forscher *kann* man sowas natürlich bearbeiten, aber will man das? Der Berater ist ja ein Dienstleister und verkauft eben nicht R&D, sondern Anwendung.
Natürlich würde ich als großes Unternehmen schon in R&D investieren, mitunter auch als Beratung. Aber Kernbereich ist es nicht, und wird es auch nie sein. Kann also eine Beratung davon profitieren, dass theoretische Forschung in-house stattfindet? z.B. würde eine Beratung davon profitieren, AlphaZero entwickelt zu haben? Mitunter schon, aber billig wäre es nicht.
Wahrscheinlich ist es naheliegender, neue Ergebnisse aus der theoretischen Forschung umsetzen zu können, was ja auch schon R&D Aufwand bedeutet.
Eine Beratung könnte Grundlagenforschung betreiben, ähnlich wie Google oder auch viele kleinere Unternehmen in diesem Bereich. Aber dazu braucht man gute Leute, die man entsprechend entlohnen muss (unabhängig ob Wiwi, CS, Mathe etc.).
Das wäre eine strategische Entscheidung, die anscheinend keine Beratung so getätigt hat.
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