Hey,
ich stand damals auch vor der Entscheidung und habe mich für Jura entschieden, bereue die Entscheidung allerdings sehr, da mich Jura nur noch langweilt. Bin gerade kurz vor Abschluss meines zweiten Examens, also knapp 30 Jahre alt.
Hab auf'm Gymnasium und in meiner Freizeit viel gezockt, mich mit Hardware beschäftigt und bisschen die Programmierung gelernt. Zwei Schul-Praktika in IT-Häusern haben mich aber vom Programmierer-Beruf abgeschreckt, war damals aber auch sehr anders in einer Kleinstadt, als es heutzutage bei Google, Startups etc. abgeht. Auch hatte ich in der Verwandtschaft nur Juristen und keine Informatiker.
Hab dann tatsächlich in Bayreuth angefangen Jura zu studieren wegen der Wirtschaftswissenschaftlichen Zusatzausbildung (WiWiZ). Die Uni war top für den Studienstart, kleine Gruppen und schon früh Kontakt zu den Professoren. Es war ziemlich familiär, nur die Stadt selber ist nach ein paar Jahren ausgelutscht, bin dann irgendwann gewechselt.
Ich würde nicht noch einmal Jura studieren, weil die gesamte Ausbildung extrem viel Nerven kostet und die späteren Jobs mir nicht gefallen. Zwar kann man die ersten paar Jahre im Studium eigentlich chillen - so gut wie niemand scheitert an der Zwischenprüfung oder den großen Übungen -, aber die Vorbereitung auf das erste Staatsexamen ist extrem hart. Mindestens ein Jahr konzentriertes Lernen zur Vorbereitung auf sechs Klausuren à 5 Stunden in 2 Wochen aus allen Rechtsgebieten, in denen einfach alles dran kommen kann. Häufig wird gesagt, dass Jura nur auswendig lernen ist, das würde ich so aber nicht unterschrieben. Es geht darum in den verschiedensten Rechtsgebieten Wissen (im Sinne von Zusammenhängen) anzusammeln und damit neue Sachverhalte "richtig" (d.h. vertretbar) zu lösen. Die Bewertung ist dabei sehr subjektiv (vllt. vergleichbar mit Deutsch-Aufsätzen in der Schule). Reines Auswendiglernen bringt einen aber nicht in die obersten Punktebereiche, sondern man muss das ganze System verstanden haben. Zwar kann man etwaige Schnitzer mit Schwerpunkt- und mündlicher Prüfung ausgleichen, aber die magischen 9 Punkte (Vollbefriedigend) zu erreichen ist schon sehr fordernd. Ich habe "nur" ein gutes Befriedigend im ersten Examen, war danach dann auch komplett im Eimer und wollte Jura hinter mir lassen.
Allerdings hatte ich schon mehr als 5 Jahre (Regelstudienzeit sind glaube ich 8 oder 9 Semester, aber inklusive der staatlichen Prüfung brauchen die meisten mindestens 5 Jahre) in die Ausbildung gesteckt, und das Referendariat dauert ja "nur" zwei weitere Jahre. Dieses endet allerdings mit einer noch viel umfangreicheren Prüfung (zweites Staatsexamen), in der man neben dem materiellen Recht auch das Prozessrecht können muss. Man kann sich auch nicht aufs Lernen konzentrieren, da man den Großteil der zwei Jahre verschiedene Stationen durchläuft und dabei miserabel vom jeweiligen Bundesland bezahlt wird (knapp 1.100 € netto). Während also deine BWL/Informatik-Kollegen mit abgeschlossenem Master sich zum ersten Mal wohnungstechnisch verbessern und schöne Urlaube unternehmen, lebst du bis fast Ende 30 (häufig muss man auch noch auf einen Referendariatsplatz warten) wie ein Student.
Finanziell kann man dann natürlich einiges wieder aufholen, wenn man die entsprechenden Noten hat und sich für einen Job in einer Großkanzlei entscheidet. Hier werden momentan Gehälter von 100k-145k im Jahr aufgerufen, je nach Kanzlei (die amerikanischen zahlen am meisten). Allerdings arbeitet man bei den meisten Großkanzleien auch mindestens seine 60-Stunden-Woche (häufig unter der Woche von 09:00-22:00 Uhr und je nach Transaktionslage auch länger und am Wochenende). Einem muss Jura auf lange Sicht also sehr viel Spaß machen, um in der freien Wirtschaft glücklich zu werden, denn es gibt wenige 9-5 Jobs in dem Bereich, die gut bezahlen. Auch in einer mittelständischen Kanzlei wird hart gearbeitet (als Anwalt ist man in erster Linie immer Dienstleister, der Mandant ist König!). Konzernjobs mit guter Bezahlung gibt es zwar, aber die verlangen in der Regel einige Jahre Großkanzlei-Erfahrung und einen sehr guten Lebenslauf. Viele Volljuristen wechseln möglichst bald in den Staatsdienst (Richter, Staatsanwalt oder Behörde/Ministerium). Hier ist Jura tatsächlich sehr vorteilhaft, da viele Stellen des öffentlichen Dienstes auf Volljuristen zugeschnitten sind (Bezahlung ab R1 bzw. A13). Das hat mich allerdings nie gereizt und mich im Referendariat auch sehr abgeschreckt.
Inhaltlich finde ich die Position eines Juristen in der freien Wirtschaft sehr wenig erfüllend. Du bist grundsätzlich in einer beratenden Tätigkeit, das heißt ein Mandant (bzw. jemand aus deinem Unternehmen) kommt mit einem Problem auf dich zu, das du anhand der Gesetzeslage lösen musst. Das kann spannend sein, ist häufig aber eher Standard-Arbeit anhand von Formularen bzw. Handbüchern. "Wirtschaftsrecht" klingt häufig so, als würde man selbst an den großen Hebeln sitzen, aber Wirtschaftsanwälte setzen in der Regel nur um, was die eigentlichen Entscheider (Manager, Investmentbanker, Investoren, Verkäufer oder Produktteams) schon vorab ausgearbeitet haben. Wenn zum Beispiel ein Private Equity Fonds plant, ein Unternehmen zu kaufen, steht die eigentliche Kaufentscheidung regelmäßig schon fest, die Juristen werden dazu eingesetzt, die Risiken einzustufen (Due Diligence) und die ganze Transaktion vertraglich festzuhalten. Das heißt, ein M&A-Anwalt schaut entweder im virtuellen Datenraum Hunderte Dokumente auf rechtliche Probleme durch oder setzt die Vertragsdokumentation auf/überarbeitet den Entwurf der Gegenseite ("Paper Monkey"). Die Vertragsdokumentation ist meist auf Englisch und gerne mal pro Dokument 100 Seiten lang mit allen möglichen Definitionen, wo man tunlichst keine Rechtschreibfehler drin haben darf; ich schlaf da gerne mal bei ein, ich vergleiche es mit lebenslang Hausaufgaben machen zu müssen. Es gibt auch Prozessanwälte (Litigation), die tatsächlich mehr juristisch arbeiten, allerdings muss man dafür ein dickes Fell haben, da sich die Parteien dann gerne auf Übelste streiten (der Ton ist sehr rau) und die Prozesse sich häufig über mehrere Jahre ziehen (fand ich langweilig). Für mich wirkt es so, als seien nur Menschen, die ein hohes Geltungsbedürfnis (Stichwort "insecure overachiever" wie bei McKinsey) glücklich als Anwalt.
Aktuell arbeitet ich im Bereich Datenschutz- und IT-Recht, quasi die Mischung aus Informatik und Jura. Hier gibt es viele spannende Rechtsfragen, da noch so viel ungeklärt ist. Allerdings ist man, wenn man nicht im klassischen Transaktionsgeschäft ist, noch viel mehr "Nein"-Sager, als es Anwälte eh schon sind. Wirklich keinen interessiert es, wie die Datenschutzerklärung oder AGB ausgestaltet ist, du arbeitest also stundenlang an Dokumenten, die sich niemand je wieder angucken wird und für die Dir auch niemand dankbar ist. Bei Transaktionen gibt es wenigstens irgendwann ein Closing/Signing und alle Transaktionsparteien sind froh, dass es geschafft ist. Dass die Mandanten im Bereich Datenschutz-/IT-Recht dir mal dankbar sind, ist sehr sehr selten, du bist eher notwendiges Übel wegen der europäischen Gesetzeslage.
Vielleicht noch konkret zu deinen Fragen:
Wie seht ihr die Jobaussichten der Studiengänge in den nächsten Jahren und wie unterscheiden sind die Studiengänge vom Anspruch her?
Ich kann nur zu Jura etwas sagen. Zwar ist es richtig, dass die Zahl der Rechtsanwälte rasant gestiegen ist in den letzten Jahren (im Jahr 1950 gab es 12.844, 2019 schon 165.104), allerdings ist das Recht auch immer komplexer geworden (neue Rechtsprechung vom BGH/BVerfG; Internationalisierung des Rechts, insbesondere EU-Recht). Gerade ist die Bewerberlage (abseits von Covid-19) sehr gut, auch mit zwei mal Befriedigend in den Examina kommt man gut bei Großkanzleien unter und auch die Noten für den Staatsdienst werden vielerorts abgesenkt auf nur noch ein Vollbefriedigend. Das liegt daran, dass in den letzten zwei, drei Jahren es weniger neue Volljuristen gab, der Markt aber angesichts vom Diesel-Skandal und der eigentlich guten wirtschaftlichen Lage viele Juristen brauchte, zusätzlich gehen viele Juristen im Staatsdienst in diesen und den nächsten paar Jahren in die Rente (Baby-Boomer) und es fehlen junge Nachfolger. Wie die Lage in 10 Jahren (also dann, wenn du vermutlich fertig wärst) aussieht, ist schwer zu sagen. Ich denke aufgrund der Monopol-Stellung der Volljuristen (Anwälte, Staatsanwälte und Richter brauchen beide Examina) und der doch weitgehend noch Bearbeitung von juristischen Sachverhalten auf Deutsch ist man als guter Jurist auch in der Zukunft gut aufgestellt (insbesondere in Zukunftsfeldern wie Energierecht, IT-Recht, Datenschutzrecht etc.). Etwaige LegalTech-Angebote, die die Juristen arbeitslos machen wollen anhand von KI, sind bisher eher enttäuschend. Die klassische verhandelnde und subsumierende Juristen-Arbeit bietet sich auch nicht offensichtlich für eine Automatisierung an, wenn auch einige Aufgaben (z.B. Due Diligence) immer häufiger wegfallen werden. Abraten würde ich dir von Zwitterstudiengängen wie Wirtschaftsrecht oder IT-Recht, damit allein wirst du kein Volljurist und auf dem Arbeitsmarkt gerne zerquetscht.
Etwa ähnlich oder ist ein Studiengang merkbar anspruchsvoller als der andere?
Ich glaube, die Studiengänge sind gänzlich verschieden. Jura studiert eher der, der gerne liest/schreibt und gesellschaftlich/politisch interessiert ist, Informatik eher derjenige, der gerne mit Technologie zu tun hat und gut in Mathe ist. Einer meiner besten Kollegen ist Informatiker und hat sehr viel gelernt für seine Prüfungen, es wirkte schon sehr anspruchsvoll, wobei es glaube ich gar nicht in die Richtung auswendig lernen geht, sondern hier noch viel mehr Verständnis gefragt ist. Bachelor und Master schaffen aus Juristen-Sicht dem Informatik-Studenten mehr Sicherheit, da jede Leistung zählt, während Juristen sehr abhängig von den Klausuren am Ende ihrer Ausbildung sind (wenn man da ein paar schlechte Wochen hat, ist alles davor egal, man hat verkackt). Auch solltest du dir angucken, was Informatik als Studiengang eigentlich beinhaltet, es ist jedenfalls nicht die Programmierung mit aktuellen Programmiersprachen oder die Befassung mit aktueller Hardware.
Könnte ich die Zeit zurückdrehen, würde ich mit meinem heutigen Wissen einen Bachelor in Wirtschaftsinformatik machen (Informatik wäre mir zu trocken), für einen Master ins Ausland gehen und dann in einem der vielen spannenden Tätigkeitsbereiche mit Tech-Bezug arbeiten (Informatik lässt einem hier alle Branchen offen, sei es als Coder oder als Produktmanager). Interessanterweise zeigt sich auch im juristischen (bzw. Compliance-) Bereich, dass Tech-Lösungen häufig sinnvoller sind als juristische Werkzeuge. Zurückkommend auf die Datenschutzerklärung oder Cookie-Banner, die niemand liest, ist es deutlich besser für die Nutzer, wenn Datenschutz schon in die Software eingebaut wird (wie es manche Browser oder Apple machen).
Mach nicht meinen Fehler, sich nur vom Geld und dem vermeintlichen Ansehen des Anwaltsberufs leiten zu lassen, am wichtigsten ist, dass die eigentliche Arbeit einem Spaß macht, unabhängig von Jura/Informatik. Vielleicht schaust du dir mal Vorlesungen der jeweiligen Studiengänge an oder begleitest einen Anwalt/Softwareentwickler mal für einen Tag/eine Woche im Alltag.
Ich glaube jedenfalls, um für die Zukunft gerüstet zu sein, bietet einem Informatik heutzutage die bessere Grundlage.
Hoffe, meine Darstellung von Jura war nicht zu düster, gibt durchaus Leuten, denen das Spaß macht und die in ihrem Job glücklich sind (eher Richter/Staatsanwälte als Anwälte). Kenne allerdings auch viele, die sich aufgrund von Depressionen im Rahmen der Ausbildung in Behandlung geben mussten (interessanterweise einige davon mit extrem guten Noten), weil der (selbstgemachte) Druck sehr hoch ist.
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