Bildungsmonitor 2015 - Geringe Fortschritte im Westen und Osten stagniert
Die 16 Bundesländer erreichen 2015 nur geringe Verbesserungen ihrer Bildungssysteme. Sachsen, Thüringen, Bayern und Baden-Württemberg haben die leistungsfähigsten Bildungssysteme. Bremen und das Saarland legten gegenüber dem Vorjahr am deutlichsten zu. Erhebliche Verbesserungen weisen auch Bayern und Hamburg auf. Zu diesem Ergebnis kommt der Bildungsmonitor 2015.
Die Bologna-Reform Mythen und Fakten zu Studium und Karriere
Mehr als 15 Jahre nach der Bologna-Deklaration zeigt sich für die Umsetzung der angestrebten Reformziele ein Bild mit Licht und Schatten. Einiges ist noch problematisch, hat aber seine Wurzeln in der Zeit vor Bologna. Das ist beispielsweise für die Problematik der Studienabbrüche der Fall, die das Hochschulsystem schon seit Jahrzehnten begleitet. Anderes verläuft besser als in der Öffentlichkeit kommentiert. Das gilt beispielsweise für die Berufs- und Karrierechancen der Bachelorabsolventen mit wirtschafts- und ingenieurwissenschaftlichen Abschlüssen von Fachhochschulen. Im Einzelnen stellt sich die Realität hinter den eingangs aufgelisteten zehn Mythen wie folgt dar:
1. Mythos: Die Studierenden sind unzufrieden und überlastet.
Für einen Teil der Studierenden sind die Leistungsanforderungen zu hoch. Allerdings gilt dieser Befund nicht nur für die Bachelorstudierenden, sondern auch für ihre Kommilitonen im Masterstudium und in den übrigen, traditionellen Studieng ängen. Auch im Hinblick auf weitere Merkmale des Studienangebotes wie beispielsweise die Organisation von Prüfungen unterscheiden sich die Wertungen der Studierenden in den unterschiedlichen Studiengängen nicht wesentlich. Insgesamt ist die Identifikation der Studierenden mit ihrem Studium und ihrem Studienfach in allen Studiengängen mit um die 80 Prozent nahezu gleich hoch. Zufrieden ist die sehr große Mehrheit von ebenfalls um die 80 Prozent der Studie renden wiederum sowohl in Bachelor- und Master als auch in traditionellen Studiengängen - mit den Inhalten der Lehrveranstaltungen. Verbesserungsbedarf auch das gilt für alle Abschlussarten besteht dagegen etwa im Hinblick auf die Studienberatung.
2. Mythos: Die Mobilität ist gesunken
Der Anteil der Studierenden mit studienbezogenen Auslandsaufenthalten hat sich in dem Zeitraum von 2013 bis 2015 deutlich erhöht. Die studienbezogene Auslandsmobilität hat insbesondere bei den Bachelor- und Masterstudierenden in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Die Anzahl der Studierenden, die ins Ausland gehen, um dort einen Abschluss zu machen, hat sich seit 20 Jahren und insbesondere seit dem Jahr 2001 positiv entwickelt. Einen sehr positiven Trend verzeichnet das Mobilitätsprogramm der Europäischen Union (ERASMUS) für den Zeitraum von 2003 bis 2014. Allerdings gibt es auch hier bei der finanziellen Belastung und bei der Integration der Studierenden in den Alltag noch Nachbesserungsbedarf.
3. Mythos: Einen Masterplatz bekommt man nur mit Schwierigkeiten
Bislang ist es der sehr großen Mehrheit der Bachelorabsolventen gelungen, innerhalb weniger Monate einen Masterstudienplatz sowohl im gewünschten Studienfach als auch an ihrer Wunschhochschule zu erhalten. Wie sich die Situation allerdings in einigen Jahren bei gleich-
bleibend hohen Übergangsquoten darstellen wird, ist offen.
4. Mythos: Das Studium dauert länger
Hinsichtlich der Studienzeiten zeigt sich ein gemischtes Bild: An den Universitäten hat sich die mittlere Gesamtstudiendauer im Jahr 2012 in den konsekutiven Masterstudiengängen gegenüber den Diplomstudiengängen vor der Bologna-Reform geringfügig verkürzt (11,3 gegenüber
12,4 Semestern). Bei den Fachhochschulen verhält es sich umgekehrt. Dort ist die mittlere Gesamtstudiendauer in den Masterstudiengängen mit 11,2 Semestern deutlich länger als die vormalige Diplomstudiendauer mit 8,3 Semestern. Allerdings muss bei diesem Befund beachtet
werden, dass der Masterabschluss an den Fachhochschulen im Verhältnis zum früheren Diplom mit einer stärkeren Ausweitung der fachlichen Inhalte verbunden ist als der Masterabschluss an den Universitäten.
5. Mythos: Die Studienabbruchquote ist gestiegen
In den Bachelorstudiengängen ist die Studienabbruchquote im Vergleich zu den traditionellen Studiengängen gestiegen. Sie lag im Jahr 2010 bei 28 Prozent gegenüber 23 Prozent in den traditionellen Magister- und Diplomstudiengängen. Allerdings ergibt sich gleichzeitig ein beson-
ders positiver Befund für die Masterstudiengänge, in denen die Abbruchquote mit rund 11 Prozent (Universitäten) und sieben Prozent (Fachhochschulen) weit unter derjenigen der Diplom- und Magisterstudiengänge liegt. Dieser positive Befund bildet einen Ansatzpunkt, um zu erfor-
schen, welche Rahmenbedingungen zur Verringerung des Studienabbruchs in den Bachelorstudiengängen beitragen können.
6. Mythos: Die Hochschulen sind nicht durchlässiger geworden
In der Hochschulgesetzgebung war das Durchlässigkeitsziel der Bologna-Reform ein Anstoß, die Zulassungsbedingungen für Bewerber aus dem Berufsbildungssystem ohne Abitur oder Fachhochschulreife zu verbessern. Die Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer
Bildung hat sich gemessen an der Studienaufnahme von Berufsbildungsabsolventen ohne Hochschulzugangsberechtigung verbessert, wenn auch nur auf nach wie vor niedrigen Niveau. Erst 2,7 Prozent der Studienanfänger zählten im Jahr 2013 zu dieser Gruppe, 2002 waren es
allerdings erst 0,9 Prozent. Hier gibt es weiterhin Potenzial.
7. Mythos: Die Arbeitgeber sind mit den Bachelorabsolventen unzufrieden
Gemessen an Arbeitslosigkeit und Suchdauer bis zur ersten Stellen finden die Bachelorabsolventen ebenso schnell ihren Weg in die Beschäftigung wie die Absolventen mit traditionellen Abschlüssen oder wie die Masterabsolventen. Beim nordrhein-westfälischen Prüfungsjahrgang 2011, der mit rund 20.000 befragten Absolventen die derzeit größte Stichprobe darstellt, lag die Arbeitslosenquote 1,5 Jahre nach dem Abschluss bei den Bachelorabsolventen bei 2,4 Prozent, bei den Masterabsolventen bei 3,2 Prozent und bei den Absolventen mit traditionellen Abschlüssen bei 3,8 Prozent. Die Arbeitgeber der Privatwirtschaft beschäftigen die Bachelorabsolventen auf dem für Akademiker üblichen Lohnniveau. Das zeigen verschiedene Umfragen zu Einstiegsgehältern. Meist beträgt der Abstand zu den Einstiegsgehältern der Masterabsolventen in den ingenieur- und wirtschaftswissenschaftlichen Fachrichtungen maximal 10 Prozent. Für eine gestiegene Unzufriedenheit der Unternehmen mit der beruflichen Leistungsfähigkeit lässt sich in den vorliegenden Daten zur Berufseinmündung kein Hinweis finden.
8. Mythos: Die Bachelorabsolventen werden unterwertig beschäftigt
In der nordrhein-westfälischen Absolventenstichprobe stellt sich die Angemessenheit der Beschäftigung für Bachelorabsolventen nicht anders dar als die der Masterabsolventen und der Absolventen mit traditionellen Abschlüssen: Die große Mehrheit von jeweils um die 80 Prozent
gibt an, dass ihre Beschäftigung sowohl vom Niveau als auch vom fachlichen Inhalt ihrem Abschluss entspricht. In der Privatwirtschaft starten die Bachelorabsolventen ebenso wie die Masterabsolventen am häufigsten mit der eigenständigen Bearbeitung einer Projektaufgabe. Eine
Hürde für die Bachelorabsolventen existiert allerdings im öffentlichen Dienst. Hier bleibt den Bachelorabsolventen der Berufseinstieg in die Laufbahn des höheren Dienstes verwehrt.
9. Mythos: Die Bachelorabsolventen haben keine Karrierechancen
In der privaten Wirtschaft zählen bei der Besetzung von Karrierepositionen in erster Linie die Leistungsmotivation sowie die Identifikation mit den Zielen des Unternehmens und weniger die formalen Studienabschlüsse. Nur bei einem kleinen T
eil der Unternehmen gibt es Positionen, für die ein Masterabschluss unabdingbar ist. Meist handelt es sich dabei um Aufgabengebiete, die spezielles Fachwissen erfordern oder aber um Spitzenpositionen im Management. Bei der Mehrheit der Unternehmen stehen den Bachelorabsolve
nten Karrierepositionen vom Projektleiter bis zum Fachgebiets- und Abteilungsleiter offen und konnten von ihnen auch bereits erreicht werden. Allerdings sind weitere Untersuchungen nötig, um aufzuzeigen, wie sich die Berufskarrieren der Bachelorabsolventen im Vergleich zu dene
n der Masterabsolventen entwickeln.
10. Mythos: Es gibt nur geringe Chancen des lebenslangen Lernens
Die Unternehmen der privaten Wirtschaft bieten vielfältige Möglichkeiten des Weiterlernens nach dem ersten Studienabschluss. Dazu zählt neben innerbetrieblichen und externen Kursen von Kammern und Branchenverbänden auch die Möglichkeit, berufsbegleitend einen Masterab-
schluss zu erwerben. Etliche Unternehmen unterstützen dabei die bei ihnen beschäftigten Bachelorabsolventen durch Freistellungen oder Übernahme der Studiengebühren. Nicht nur die fachliche Notwendigkeit ist dafür ausschlaggebend, ob ein Studium unterstützt wird, sondern
auch die Intention, den vielversprechenden Nachwuchs an das Unternehmen zu binden. Allerdings wird über Weiterbildungsmöglichkeiten nicht immer frühzeitig informiert. Handlungsbedarf besteht auch auf Seiten der Hochschulen, die bei den berufsbegleitenden Angeboten mehrheit-
lich noch auf Präsenzveranstaltungen setzen, die für Berufstätige nur schwer wahrnehmbar sind.
Der genauere Blick auf die manches Mal aufgeregt diskutierten Mythen der Bologna-Reform zeigt, dass kritische Aspekte in den Fokus gerückt werden und gelingende Entwicklungen dabei oftmals übersehen werden. Es ist eine Überfrachtung der Bologna-Reform, von ihr die Lösung lang bestehender Probleme in Studium und Beschäftigung zu erwarten. Der Umbau der Studienangebote musste vollzogen werden, ohne dass grundlegende Strukturmängel des bestehenden Hochschulsystems angegangen wurden. Mangels nachfrageorientierter Elemente in der Hochschulfinanzierung war es immer schon problematisch, die Verbesserung der Studienbedingungen zu einem Anliegen aller Hochschulmitglieder werden zu lassen. Bei den besonderen Anforderungen, die die Umgestaltung der Lehrangebote im Bachelorstudium mit sich brachte,
erwiesen sich die fehlenden Anreize, die Belange der Studierenden stärker zu berücksichtigen, in vielen Fällen als Problem. Überdies entfielen mit der Abschaffung der Studiengebühren und der in einigen Ländern nicht ausreichenden Ersatzfinanzierung wichtige Spielräume für die Finanzierung zusätzlicher Unterstützungsangebote für die Studierenden.
Dennoch konnten bei der Mehrheit der Studienangebote dank des besonderen Einsatzes vieler Hochschullehrer Qualitätsverbesserungen erzielt werden. Kernanliegen war es, mit der Einführung eines zweistufigen Studiensystems einen Schritt in Richtung eines einheitlichen europäischen Hochschulraumes voranzukommen. Das ist erreicht worden. Darüber hinaus ist es trotz der fundamentalen Neuordnung des Studiensystems gelungen, die inhaltliche Qualität der Lehre zu sichern, die Auslandsmobilität der Studierenden zu unterstützen und ihre erfolgreiche Einmündung in weite Teils des Arbeitsmarktes sicher zu stellen.
Allerdings besteht im öffentlichen Dienst noch Nachbesserungsbedarf: So sollte die Empfehlung der Kultusministerkonferenz, den Bachelorstudierenden gleiche Einstellungschancen in den höheren Dienst einzuräumen wie den Masterabsolventen, in die Realität umgesetzt werden. Das würde dazu beitragen, das Vertrauen in den Bachelorabschluss als einen vollwertigen Hochschulabschluss zu stärken.
Wünschenswert ist auch eine Verbesserung der Datenlage: Mehr Klarheit über die Beschäftigungssituation der Bachelor- und Masterabsolventen ließe sich herstellen, wenn der Mikrozensus die Bruttojahresverdienste ermitteln würde. Eine Studienverlaufsstatistik könnte zu besseren Maßnahmen zur Verringerung der Studienabbrüche beitragen.
Ein weiterer erforderlicher Schritt besteht darin, die Flexibilisierungschancen des neuen Systems noch besser zu nutzen. Hochschulen und Beschäftiger, öffentliche wie private, müssen enger zusammenwirken, um ein modularisiertes Studienangebot für das berufsbegleitende, lebenslange Lernen zu entwickeln.