Bei uns Ingenieure ist es so, dass ein nahtloser Übergang seitens der Arbeitgeber erwünscht ist (ein paar Wochen dazwischen sind dabei unbedenklich). Nach vielen Jahren des Studierens sollten die Absolventen eigentlich froh sein, dass es endlich losgeht (so denken die Personaler), schließlich ist die "Lizenz zum Arbeiten" eine der Hauptgründe fürs Studium. Zur Selbstfindung oder um ausgiebig zu Reisen ist es doch besser, das Studium etwas zu verlängern.
Hier die Meinung eines Personalberaters:
Darf ein Jungakademiker ein Jahr trampen oder nicht?
Frage:
(Anmerkung d. Autors: Als Frage 1973 war ein Fall veröffentlicht worden, in dem ein gerade fertiger Dipl.-Ing. nach abgeschlossenem Studium "erst einmal ein Jahr durch Asien trampen" wollte, statt mit der Ausübung seines Berufs zu beginnen. Er hatte sich damit den Unmut eines Entscheidungsträgers aus der Industrie zugezogen. Ich schrieb, als freier Mann im freien Land dürfe er das – aber spätere Bewerbungsempfänger dürften ihrerseits einstellen, wenn sie wollten. Und sie würden in der Regel jemanden bevorzugen, der nicht so überdeutlich Privates vor Berufliches stellt. Der Einsender ist emeritierter Hochschul-Professor).
Zu dem Verhalten des "Kandidaten" möchte ich mich wie folgt äußern: Ich halte es für sozial unverantwortlich, wenn ein junger Mann mit einem frisch absolvierten Hochschulstudium keine reguläre Tätigkeit aufnimmt, sondern für ein Jahr durch Asien trampen will. Die einzige Entschuldigung für ein solches Verhalten wäre ein katastrophal schlechter Arbeitsmarkt, der dem Betroffenen keine Chance auf eine feste Anstellung bietet.
Jeder junge Mensch, der ein Hochschulstudium absolviert hat, muss sich vor Augen halten, wie viel Geld seine Ausbildung (Gymnasium plus Hochschule) den Steuerzahler gekostet hat. Es ist daher eine selbstverständliche Pflicht, dass der auf Kosten der Allgemeinheit Ausgebildete zum frühestmöglichen Zeitpunkt diese Kosten zu tilgen anfängt, indem er oder sie eine reguläre Arbeit aufnimmt und Steuern sowie Beiträge zur Sozialversicherung bezahlt. Es ist keineswegs das gute Recht eines gut ausgebildeten jungen Menschen, sich vor der Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft zu drücken, die in seine Ausbildung viel Geld investiert hat. Dies gilt insbesondere in einer Zeit, in der unser Land vor größten Herausforderungen steht.
Antwort:
Es ist ja nicht etwa so, dass ich Ihnen nicht von Herzen zustimmen möchte. Aber:
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Es geht dabei, das muss gesagt werden, um eine moralische, nicht jedoch um eine juristische Verpflichtung. Der junge Mann hat durchaus das "Recht", ein oder auch viele Jahre nur zu trampen. Wir zwingen ihn nicht per Gesetz oder sonstiger Vorschrift zur Arbeitsaufnahme, wir "bestrafen" ihn hinterher durch Ablehnung, durch Verweigerung von Top-Startpositionen o. ä. – in einem unsystematischen, von Empfindungen einzelner Entscheidungsträger geprägten Rahmen. Unser offenes, von freiheitlich-demokratischer Grundordnung bestimmtes System lässt auch gar nichts anderes zu.
- Für mich als Pragmatiker die Kernfrage: Was nützt letztlich ein Aufruf wie Ihrer an dieser Stelle? In meinem oben erwähnten Beitrag wurde zusätzlich deutlich, dass jener "Kandidat" diese Serie nicht liest, ja vermutlich gar nicht kennt. Insofern werden ihn und seine Nachahmer (die es geben wird!) Ihre eindringlichen Worte gar nicht erreichen. Und läsen entsprechend denkende junge Menschen Ihre Mahnung dennoch, perlte sie vermutlich an ihnen ab.
Daher bevorzuge ich den anderen Weg. Ich sage: "Du darfst machen, was du willst" - aber ich sage auch: "Die Unternehmen, bei denen du später arbeiten willst, dürfen auch machen, was sie wollen (in diesem Rahmen)". Zum Problem "Lesen die das überhaupt?": Wenn in einer Uni auch nur ein Professor den Beitrag Nr. 1973 ans Schwarze Brett hängt, wäre sicherlich schon viel gewonnen. Vorausgesetzt, die Zielgruppe liest, wenn schon nicht regelmäßig diese Beiträge, dann wenigstens die Aushänge am Schwarzen Brett (was nicht bewiesen ist).
Ich halte es übrigens für denkbar, dass viele der angesprochenen jungen Menschen gar nicht verstehen würden, wovon wir hier überhaupt reden. Sie wissen schlicht nicht, dass ein Akademiker zwar zum Teil über seine Fachqualifikation definiert wird, zum anderen Teil aber über seine Persönlichkeit - beides zusammen erst ergibt "den Mitarbeiter" (oder Bewerber). Und während die "Persönlichkeit" lieber trampen geht, schläft der "Ingenieur + Fachmann" still vor sich hin und vergisst schon Teile des Gelernten.
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