WiWi Gast schrieb am 28.10.2024:
Zudem sind immernoch 73 Prozent der niedergelassenen Ärzte als wirtschaftlich selbstständige Freiberufler tätig. (" Zahlen des Deutschen Instituts für Fachärztliche Versorgungsforschung (DIFA) ")
Ich stimme zu, dass die 76k für Hausärzte und 87,6k für Fachärzte nach wenig klingen. Sie betreffen aber einen ziemlich kleinen Teil der Ärzteschaft (mMn einen trotzdem zu hohen Anteil), während du es hier so darstellst, als würde der Großteil der Ärzte verzweifelt versuchen, mehr als 85k zu verdienen, und dass mehr es einfach nicht drin ist.
Die 73% sind etwas missverständlich bzw. um es genauer zu formulieren: Von den Ärzten, die in der ambulanten Versorgung arbeiten (d.h. in Praxen, nicht in Kliniken), sind 73% selbständig, 27% angestellt. Die Mehrheit der Ärzte arbeitet aber sowieso in Kliniken, nicht in Praxen. Und die Zahl ist schon ein paar Jahre alt und zeigt deutlich, wohin die Entwicklung gerade geht: Mittlerweile sind es es nur noch 64%, nicht mehr 73%.
Schauen wir uns die Zahlen mal insgesamt an, siehe dazu bei Google "Struktur der Ärzteschaft 2023", Quelle: Bundesärztekammer.
222k Ärzte arbeiten in Kliniken, 168k in Praxen. Insgesamt gibt es 390k Ärzte, die auch als Arzt arbeiten.
Jetzt kommt bestimmt der Einwand, naja in den Kliniken sind ja nur Chefärzte!? Nein - nur 17k aller Ärzte sind leitende Ärzte - das beinhaltet Chefärzte und leitende Oberärzte. 4% der Ärzte finden sich "hier oben" wieder. Das Gehalt von leitenden Oberärzten ist im Tarifvertrag geregelt und liegt bei 10.300 bis 11.648 Euro pro Monat.
Wenn wir davon ausgehen, dass auf 3 leitende Oberärzte ein Chefarzt kommt, ist man als Chefarzt unter den Top 1%. Die leitenden Oberärzte sind im Bereich 120k - 140k. Für die anderen 205k Ärzte ist im Tarif als Oberarzt mit 120k Schluss (Oberarzt mit 7 Jahren BE) und nicht jeder Arzt wird in der Klinik Oberarzt. Es gibt viele, viele Fachärzte mit 50+ - da ist dann bei 105k Schluss.
168k sind ambulant tätig, d.h. in Praxen. Davon aktuell 60k in Anstellung, d.h. großteils im Bereich 76k bis 88k. Eine Minderheit bekommt Umsatzbeteiligung und schafft es auf knapp über 100k.
108k sind selbständig und Praxisinhaber, davon 48k Hausärzte und 60k Fachärzte.
Beim Reinertrag gibt es einiges zu beachten. Oft wird der Reinertrag je Praxis ausgewiesen, aber viele Praxen sind Gemeinschaftspraxen oder gar MVZ. Und oft wird es in Zweit- oder Drittquellen dann vermengt oder vermischt, so dass Unsinn herauskommt.
Das Ärzteblatt gibt für alle Praxen an: 172.000 Euro Reinertrag je Praxisinhaber über alle Fachrichtungen. Der Reinertrag ist ohne SV-Abgaben, Steuern, Rentenvorsorge und ohne die Übernahmekosten für die Praxis. Ja, ein Radiologe hat deutlich mehr als 172k - er hat aber auch erstmal sehr hohe Übernahmekosten. Und wenn er die Praxis 20 Jahre später wieder verscherbelt, hat er längt schon mal alle Geräte getauscht, d.h. nochmal Geld reingesteckt.
172k sind also effektiv mit ~140k brutto als Angestellter vergleichbar (mit Dienstwagen und bAV zieht man auch schon deutlich unter 140k gleich). Und da liegt auch der Grund, warum viele Praxisinhaber so viel meckern. Man möchte ja eigentlich mehr verdienen als ein Oberarzt in der Klinik - man hat unternehmerisches Risiko, Haftung, muss die gesamte Organisation übernehmen.
Zusammenfassung:
108k (28%) Ärzte mit 172k Reinertrag was etwa 140k brutto entspricht
60k (15%) Ärzte in Anstellung in Praxen und MVZ, davon die Mehrheit zwischen 75k und 90k
17k (4%) Chefärzte und leitende Oberärzte - die leitenden Oberärzte sind im Tarifvertrag bei 120k bis 140k, die Chefärzte natürlich höher, tlw. deutlich höher
205k (53%) Ärzte in Kliniken: Assistenzärzte, Fachärzte, Stationsärzte, Oberärzte - 65k bis 120k
Größter Trend aktuell: die massive Zunahme von MVZ, wo Ärzte in Anstellung arbeiten und der massive Rückgang von freiberuflich tätigen Ärzten.
2010 gab es noch 1.503 MVZs, 2018 waren es ca. 3.200 MVZs und 2022 waren es 4.574 MVZs. 2023 schließlich 4.897 MVZs.
Wer aktuell eine Praxis hat, dem geht es natürlich gut. Wer jetzt Medizin studieren will, damit er in 25 Jahren eine Praxis übernehmen kann, der sollte das wahrscheinlich nur tun, wenn die Praxis eh schon in Familienbesitz ist.
Wer in der Klinik bleiben möchte, das geht natürlich auch. Die Arbeitsbedingungen sind aber auch klar: Schichten, Überstunden, Arbeit am Wochenende, Arbeit an Feiertagen und 0% Home-Office. Das Sozial- und Familienleben leidet ein Leben lang.
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