Ich bin fassungslos über die Ignoranz vieler Antworten.
Grundsätzlich stimme ich zu, dass die momentane Situation, verglichen mit beispielsweise dem Krieg, noch immer "besser" ist, als manche es in dunklen Momenten manchmal selbst sehen. Meiner Meinung nach stellen derartige Argumente aber auch keine ernsthafte Diskussionsbasis dar, denn nach gleicher Logik wird quasi jedes Argument egalisiert, da es immer Zweifel irgendwo auf der Welt immer schlimmer sein könnte. Ich denke auch nicht, dass die (meisten) Studenten sich ernsthaft als größtes Opfer der Pandemie o. Ä. sehen. So viel Verstand rechne ich Menschen mit Hochschulzugangsberechtigung dann doch zu.
Dennoch sollte man an dieser Stelle die schwierige Lage vieler (der meisten) Studenten anerkennen. Aus Perspektive mit Ende 20 bis Mitte 30, fester Job, gefestigte soziales Umfeld lässt sich eine Pandemie momentan nun einmal einfacher "ertragen", als mit 18-23. Natürlich durfte man im Hochsommer mehr Leute treffen (wohlgemerkt "durfte", aus Vernunftsgründen hätte man auch hier Kontakte beschränken sollen), selbstverständlich gibt es auch weiterhin noch offene Positionen als Werkstudent, etc. Das ändert aber doch nichts an der Tatsache, dass seit März 2020, d. h. seit bald einem ganzen Jahr, das "gewohnte" wie erhoffte Leben zu großen Teilen auf dem Kopf steht.
Dies ist tatsächlich nicht exklusiv für Studenten sondern trifft alle Gruppen in gleichen Teilen – es hat auch nie jemand etwas anderes behauptet. Meiner persönlichen Meinung nach ist der unmittelbare "Verlust" an <Lebenszeit> in jenen Phasen nun aber einmal für die meisten (nicht alle) jungen Menschen schwerwiegender als mit 30+ (Ausnahmen bestätigen die Regel). Im Prozess des Erwachsenwerdens gehören soziale Kontakte, Gruppenstrukturen, sich Ausprobieren, Ausleben einfach dazu. Ich erinnere mich an meine eigene Studentenzeit zurück: Mir kann niemand erzählen, dass wilde WG-Feiern, spontan-nächtliche Ausflüge in die Bar um die Ecke, große Semesterparties, verkatert um 08:00 Uhr in der Vorlesung sitzen, Abhängen mit Freunden auf dem Campus, gemeinsames Essen in der Mensa, größere Ausflüge bis hin zu Reisen mit den neugewonnen Freunden keine besondere Zeit waren. Ich für meinen Teil bin sehr dankbar für diese Jahre, da ich mich hier noch einmal deutlich entwickelt habe. Erst in meinem Studium bin ich wirklich "Erwachsen" geworden. Dazu kommt das Auslandssemester: Neben zahlreichen Freundschaften und einer allgemein guten Zeit habe ich hier meine Frau kennengelernt. All jene Erfahrungen sind momentan nun einmal nicht vorhanden und werden – mit Blick auf die derzeitige Lage – auch nicht in absehbarer Zeit zurückkehren. Ich bin seit Kindesalter mit den Erzählungen meiner Eltern groß geworden, dass die Studienzeit die rundum besten Jahre für sie waren. Dazu kam das erste Mal "schnuppern" am Studentenleben, heimlich als Abiturient mit 18 auf den Parties von Bekannten. Ich konnte meinen Auszug in die erste eigene WG kaum erwarten. Stellt euch vor, ihr haut zwei Jahre in der Abiphase richtig rein, freut euch auf den neuen Lebensabschnitt und dann sind große Teile der lang erhofften Zukunft mit einem Schlag egalisiert.
Stichwort Perspektive: Diese wird im Rahmen der Diskussion zu häufig vernachlässigt. Auch ich musste alleine in 2020 zahlreiche Events, Reisen, usw. absagen. Der Unterschied? Den Trip nach Dänemark kann ich problemlos auch in zwei, drei Jahren nachholen. Die Einweihung mit den Kollegen gibt's dann eben im Sommer 2022. Den Studienstart aber, den gibt es kein zweites Mal. Den Umzug weg von zuhause in die neue Unistadt werden sich viele zwei Mal überlegen, wenn die Hälfte der Studienzeit doch sowieso schon gelaufen ist. Eine Freundin hat sich den Hintern abgearbeitet um dank guter Noten und Stipendium im Frühjahr 2021 für ein Jahr in das Auslandssemester an der Ivy-Uni in den USA gehen zu dürfen. Das ist jetzt ersatzlos gestrichen (respektive virtuell) und nachzuholen gibt's hier nichts mehr. Der Abschluss folgt vor Ende der Pandemie und dann geht es in den Job. Das ist eine verlorene Chance und exakt so ergeht es, wie von einem Vorposter angemerkt, zurzeit Millionen von Menschen zwischen 16-25 die allemöglichen Pläne hatten, welche nun einmal nicht umzusetzen sind und – darum geht es mir insbesondere – eben nicht ohne weiteres nachgeholt werden.
Ich für meinen Teil kann die Pandemie gut wegstecken:
Ich sitze mit üppigen Gehalt im Haus, wechsel drei Mal am Tag den Arbeitsplatz, setze mich Mittags in die Sonne in den Garten. Auch vor Covid ging es nicht mehr jeden Abend vor die Tür. Insofern kann ich ein Jahr kürzer treten, kein Problem. Wie sieht es aber bei 19 jährigen aus, welche nun gezwungenermaßen weiter bei den Eltern hocken, welche in 12qm Zimmer von 08:00 bis 22:00 ihren gesamten Alltag verbringen müssen, die eine so prägende Zeit nur virtuell vor dem Bildschirm an sich vorbeifliegen sehen und das alles aufgrund eines Virus, der für sie statistisch gesehen nicht einmal ernsthaft eine Gefahr darstellt? (Mir geht es nicht um Sinn der Maßnahmen – das ist alles gut und richtig. Ich versuche nur einmal die Perspektive zu verstehen). Danach wartet auf viele Absolventen ein beschissener Arbeitsmarkt auf welchem die Folgen von Covid noch überhaupt nicht zu sehen sind, Stichwort ausgesetzte Insolvenzen, zinslose Kredite, usw. Mit dem nicht vorhandenen Job dürfen sie dann die Schulden abbezahlen, welche die Regierung "großzügig" in Form von Krediten anbietet und sich dafür auch noch feiern lässt.
Mir geht es nicht um "wer hat es am schlimmsten". Mir ist ebenso bewusst, dass es zurzeit noch immer zahlreiche Wege gibt das Beste aus der Situation zu machen. Es ändert nichts an der Tatsache, dass die aktuelle Situation aber ordentlich bescheiden ist – für junge Menschen eben ganz besonders.
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