100.000€ Gehalt für Ärzte in höheren Gehaltsstufen ist richtig. Aber nur, wenn Zulagen für Dienste und Co eingerechnet werden und auch erst nach sehr langer Zeit (mindestens 18,5 Jahre ab Beginn des Studiums, dazu später mehr). Aktuelle Tarifverträge der verschiedenen Gewerkschaften zeigen jedoch, welchen Aufwand man hierfür benötigt. Ein Facharzt in der höchsten Gehaltsstufe verdient bei einer 40 Stunden Woche (in manchen Tarifverträgen auch 38) aktuell (2019) zwischen 6500€ und 7800€ im Monat je nach Tarifvertrag. Hierfür benötigt man MINDESTENS 6,5 Jahre Studium, 5 Jahre Facharztausbildung und 6 Jahre Facharzt sein - ich kenne kaum Ärzte, die das so schnell geschafft haben - zumal nur wenige ohne Wartesemester ins Medizinstudium kommen, der Altersschnitt in Düsseldorf bei knapp 400 Studienanfängern lag eher um die 26 als 18, mit etwa 10% 30+.
Dinge die hierbei nicht beachtet werden:
- Fast alle Tarifverträge für Ärzte rechnen Urlaubs-/Weihnachtsgeld bereits ins Monatsgehalt ein - es gibt in kaum einer Klinik irgendeine Form des umgangssprachlich oft als "13tes Monatsgehalt" bezeichneten jährlichen Bonusgeldes. Bei Ingenieurstarifverträgen wird dieses meist mit 27,5% des Monatsgehaltes ausgeschrieben, was wesentlich das Gesamtjahresgehalt ein wenig hebt.
- Mir ist kein Tarifvertrag für Ärzte bekannt, welcher nicht unbezahlte, vertraglich festgeschriebene Überstunden enthält. (5 Stunden sind Standard, manche Kliniken wie HELIOS haben sogar 10 unbezahlte Überstunden pro Woche) Dies hebt die Arbeitszeit auf 43 (38+5) bis 50 (40+10) Stunden pro Woche für die je nach Tarifvertrag im Schnitt 7000€ pro Monat.
- Jeder Arzt muss einen (in den meisten Berufsgruppen garnicht erlaubten) Opt Out Vertrag für die maximale täglliche Arbeitszeit unterzeichnen. Dies entfernt die im Arbeitsgesetz festgelegte 10 Stunden Begrenzung pro Tag und auch das Wochenlimit. 24 Stunden Dienste stehen meist einmal pro Woche, in ruhigeren Bereichen wie Radiologie alle zwei Wochen an. (übrigens verdienen alle Ärzte im Krankenhaus gleich, nicht wie oft gedacht Radiologen und Neurochirogen mehr - alle das gleiche! Nur bei niedergelassenen Ärzten gibt es Unterschiede)
- 24 Stunden Dienste werden nur zu 30-50% bezahlt, da sie als Rufdienste (bzw. Bereitschaftsdienst in der Inneren mit 50-70% des Normalgehalts) gehandhabt werden - obwohl man natürlich die vollen 24 Stunden im Krankenhaus ist, Leute hören nicht plötzlich auf, krank zu sein.
- Überstunden über den unbezahllten 5-10 pro Woche werden theoretisch ausbezahlt, aber werden mit anderen Wochen verrechnet. Soll heißen: Hattest du keine Überstunden in einer Woche und in einer anderen 20? Dann werden die 10 kostenlosen Stunden der einen "ungenutzten" Woche auf die andere übertragen. Das heißt du bekommst kein Extragehalt für die 20 Überstunden der einen Woche. Nur wer jede Woche mehr als 10 Stunden extra arbeitet bekommt die über diesem Limit liegenden Stunden ausgezahlt. --> Wer 40 Arbeitsstunden im Vertrag stehen hat, muss 50 Stunden pro Woche arbeiten, um 45 Stunden bezahlt zu bekommen.
Wie kommt so ein Arzt dann auf 100.000€ im Jahr? Bei guten 7000€ im Monat wären das ja "nur" 84000€ im Jahr. Zwei Möglichkeiten: Entweder der Arzt (bzw. die Ärztin, in der jungen Generation gibt es kaum noch Männer, die diesen Berufszweig ergreifen - 80% Frauen im Medizinstudium sind mittlerweile Standard) arbeitet sehr viel (oft 60-70 Stunden die Woche machen viele, gerade in kleinen Kliniken mit wenig Personal - wobei hier die erwähnten 24 Stunden Dienste mit 30-50% vom Normalgehalt dabei sind, wodurch man für 24 der 60 Stunden nur halb bezahlt wird und für 5-10 durch unbezahlte Überstunden garnicht!). Oder es werden viele Arbeitszeiten genutzt, welche Nachtzuschlag, Feiertagszuschlag oder Sonntagszuschlag beinhalten. (nicht in jeder Abteilung möglich, da Nachts und Feiertags nur Notfallbesetzung/Mindestbesetzung nötig ist und viele Stationen nur einen Arzt haben in der Nacht)
Es gibt auch einige, die beides zusammen nutzen, diese verdienen dann wirklich viel Geld - aber haben auch kein Leben mehr. Oder habt ihr mal versucht, nach einem 24 Stunden Dienst ohne Schlaf oder mehreren wechselnden Tag und Nachtdiensten und einer 70 Stunden Woche noch etwas zu machen? Ihr seid einfach kaputt. Diese Ärzte hoffen meistens auf einen schnellen Aufstieg zum Oberarzt oder leitenden Oberarzt. (oft auch Chefarzt genannt, obwohl im Gegensatz zu anderen Ländern die Chefarzt nur die Abteilung leitet - das Krankenhaus wird meist von BWL Master Absolventen geleitet) Womit wir beim nächsten Punkt wären:
- Das berühmte "als Oberarzt/Chefarzt verdient man dann aber richtig gut" - zum einen steigt das Gehalt erst richtig beim leitenden Oberarzt - ein heiß begehrter Job, auf den oft 10-20 Bewerber pro Platz kommen, wodurch meist nur die oben genannten Arbeitstiere diese Stellen bekommen - oder man entsprechende Kontakte hat (Vetternwirtschaft liegt leider in vielen Kliniken vor). Theoretisch kann man auch direkt nach dem Facharzt Oberarzt werden (also mindestens 11,5 Jahre nach Studienstart), aber meistens erst, wenn man auch dort seine höchste Gehaltsklasse erreicht hat (also 18,5 Jahre nach Studienbeginn) - da andere Leute schlichtweg von "vor einem in der Warteschlange sind" für die begehrten Oberarztstellen.
Zweitens ist das Gehalt eines normalen Oberarztes auch nicht so viel höher. In den HELIOS Kliniken nach Tarifvertrag beispielsweise 7430€ Einstiegsgehalt, Ansteigend auf 7800€ nach 4 Jahren. Als leitender Oberarzt startet man allerdings mit 8623€ im Monat für die erwähnten 40 (+5/10 unbezahlte Überstunden, also eigentlich 45/50) Stunden pro Woche. Das ist wirklich ein gutes Gehalt und auch wenn man es auf Tarifverträge von Ingenieuren herunterrechnet, ist der Unterschied dennoch nicht besonders groß. Gerade wenn man bedenkt, dass auf einen leitenden Oberarzt 20 Ärzte ohne diese Position kommen.
Zugegeben, man kann nach dem Facharzt (also nach 12,5 Jahren ab Studienbeginn) auch eine eigene Praxis oder Gemeinschaftspraxis eröffnen - dafür benötigt man jedoch ordentlich Startkapital. Gerade in den Bereichen, die später viel Geld abwerfen (Radiologie, Chirurgie), sind 2 Millionen Euro absolutes Minimum - ein kleines MRT kostet bereits mindestens 600.000 Euro. Und das können sich nur die leisten, die in ein reiches Elternhaus geboren worden sind oder direkt die Praxis der Eltern übernehmen. Sich selbst das nötige Kleingeld zu erarbeiten ist als Arzt unmöglich. Wer reiche Eltern hat, die vielleicht sogar eine eigene Praxis besitzen, die man später übernehmen kann, verdient dann natürlich ordentlich Zaster und hat ausgesorgt. Aber das sind nicht die Durchschnittsärzte. Und wer in ein reiches Elternhaus geboren wurde und Kontakte hat oder gar eine Firma übernehmen kann, der kann in fast jeder Berufsgruppe ohnehin schnell viel Geld verdienen. Da bietet Arzt keine Vorteile.
AUSNAHME: Als Arzt ins Labor gehen. Labormediziner brauchen wesentlich weniger Startkapitall für die private Existenzgründung und auch als Angestellter bekommt man in der Forschung viel Geld. Zudem kein Patientenkontakt und keine endlosen Überstunden und vorallem keine 24 Stunden Dienste. Auch definitiv kein leichter Weg - das Medizinstudium ist nicht ohne - aber im Vergleich zum "normalen" Arzt wesentlich niedrigere Messlatte für Eigenkapital, wodurch man auch mit einer armen oder "durchschnitts" Familie eine eigene Existenz ohne große Hürden (nachdem das Studium geschafft ist) aufbauen kann, bei der die 100.000€ realistisch ohne sich halb tod zu arbeiten möglich ist.
Empfehle ich Medizin trotz all dieser Punkte? Auf jeden Fall, es ist ein sehr erfüllender Job und im Gegensatz zu vielen anderen Berufen merkt man direkt, was man getan hat. Leuten zu helfen oder gar Leben zu retten und den Dank zu spüren, den andere einem entegegenbringen, ist unbezahlbar. Man weiß immer, dass man etwas Gutes tut. Was zum Beispiel ein Notar trotz seines sehr hohen Gehalts nicht erleben wird. Aber wählt diesen beruf nur, wenn er wirklich wegen des Berufs wegens ausgeübt werden soll und man sehr stressbeständig ist. Kann man viel Geld verdienen? Ja - aber nur wenn man sehr viel Arbeit und Zeit investiert - also genau wie in jedem anderen Beruf. Wer als Architekt oder Ingenieur 70 Stunden die Woche arbeitet verdient genausoviel - aber muss nicht die ganze Zeit mit Tod, Wut und Leid in Kontakt stehen. Ein Architekt oder Ingenieur hat (oft) weniger Jahresgehalt als ein Arzt - aber arbeitet auch sicher keine 70 Stunden für dieses Gehalt. Der Stundenlohn ist vergleichbar. Man muss den Arztberuf lieben und nicht nur die Guten, sondern auch schlechten Seiten des Berufs verkraften. Nicht nur die Freude des Leben rettens und helfens, sondern auch den Schmerz und die Trauer des nicht mehr helfen könnens und des Todes überstehen.
Wer wirklich nur des Geldes wegen arbeitet, sollte vom Arztberuf fernbleiben - außer man will in die Forschung (wobei es dann immernoch viele Berufsgruppen gibt, die mehr verdienen) oder hat das Startkapital für eine eigene Praxis oder Eltern, von denen man die Praxis übernehmen kann. Die letzte Möglichkeit wäre ein Umzug in die USA - dort verdienen Ärzte je nach Facharztwahl das doppelte bis vierfache!!! (weltweit mit Abstand das höchste Gehalt von Ärzten!). Allerdings muss man dafür auch in den USA studieren - die USA nehmen kein Studium anderer Länder für den Arztberuf an, ohne Ausnahme - obwohl nach Aussagen eines befreundeten Auswanderers das Studium in Deutschland schwerer war als in den USA. Wer viel Geld verdienen will ohne großes Risiko, sollte daher in die USA auswandern und dort studieren. Das Studium dort muss jedoch auch bezahlt werden, was sehr viel Kapital oder Verschuldung erfordert. Aber bei 200.000 Dollar Durchschnittsgehalt für Oberärzte im Krankenhaus, in Privatpraxen je nach Fachbereich sogar 500.000 Dollar oder mehr, kann man auf sichere Art und ohne Risiko wie bei BWL oder Ingenieuren, das große Geld verdienen. Aber wenn man glaubt, dass Geld das Wichtigste ist, landet man eher beim Psychologen oder im Grab, als ein glückliches Leben zu führen. Macht was euch Spaß macht/interessiert. Nicht was am meisten Geld bringt!
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