WiWi Gast schrieb am 09.04.2023:
ärzte können doch selbst zu MBB gehen oder zu IGM oder in die pharmabranche und würden dort von den ach so tollen arbeitsbedingungen und den spannenden tätigkeiten profitieren. sie tun es aber nicht, weil sie eben gern einen wichtigen, spannenden, fachlich fordernden und verantwortungsvollen beruf haben, der ihnen bis ins hohe alter das mit abstand im schnitt beste gehalt unter allen akademikern garantiert.
kaum ein anderer absolvent hat diese freiheit. Biologen, chemiker, physiker,.. trotz langer und anstrengender promotion, arbeiten diese berufsgruppen fast immer fachfremd und verdienen im schnitt deutlich weniger als ärzte.
Richtig, Ärzte machen ihren Job häufig aus Idealismus und Begeisterung am Fach.
Ansonsten machst du denselben Denkfehler wie so viele Vorposter und glaubst. Ärzte was Arbeitsintensität- und zeit sowie Verantwortung angeht mit dem Durchschnittsakademiker vergleichen zu können.
Weder Biologen, noch Chemiker noch sonst irgendein anderer Beruf haut sich in 24h (!) Diensten die Nächte um die Ohren, in denen man in vielen Fachrichtungen durcharbeitet, aber die Arbeitszeit nicht anerkennt bekommt, weil es ja formal nur Bereitschaftsdienst ist.
Ich war irgendwann mal nicht mehr so idealistisch. Ich bin selbst als Arzt zu MBB gegangen nach mehreren Jahren im Krankenhaus. Ich hatte keine Lust mehr, mich von Vorgesetzten anschreien und von Patienten beleidigen zu lassen (ein paar der Vorposter kann ich mir bildlich vorstellen als Patienten - "ich zahle IHR GEHALT, sie MÜSSEN MICH JETZT BEHANDELN WIE ICH DAS WILL" - alles erlebt). Die Perspektive ist auch bescheiden, als Oberarzt verdient man kaum mehr als ein Master-Absolvent im Consulting (wenn man es nicht zu MBB schafft geht man halt zu S& oder OW und verdient sogar mehr - und ja, wenn man es wirklich will kriegt man das auch als BWLer auch hin, bei einer größeren Beratung anzufangen, das ist nicht 0,1% vorbehalten). Niederlassung? Viel Glück, einen Kassensitz zu finden, den haben in vielen Fächern schon die PE-Fonds aufgekauft. Vielleicht macht Herr Lauterbach dem bald ein Ende, aber ich kann mir das nicht so recht vorstellen.
Lächerlich, wie hier lauter Besserwisser schreiben, die keine Ahnung von der Realität in Krankenhäusern haben.
Nein, Arbeitszeitgesetze gelten im Krankenhaus genauso wenig wie im Consulting.
Nein, 3000 netto sind kein gutes Gehalt für jemanden mit Ausbildung und Arbeitsbelastung eines Mediziners.
Nein, man hat keine Garantie auf eine Oberarztstelle. Wird man perspektivisch nicht Oberarzt, wird man oft gegangen, weil Fachärzte den Kliniken zu teuer sind meist keine andere Arbeit machen als Weiterbildungsassistenten. Willst du OA werden kommt meist noch einiges an Zusatzarbeit neben der "offiziellen" Tätigkeit auf einen zu, etwa die Forschung, Kongresse, weitere Fortbildungen, die man fast ausnahmslos in seiner Freizeit macht. Ich hatte mehrere Erstautorenschaften (auch in aufwändigen, experimentellen Arbeiten), die ich ganz überwiegend in meiner Freizeit erarbeitet habe - ich wollte schließlich mal Oberarzt werden. Und da hieß es in meiner Klinik, dass man, wenn man zum FA die Habilitation nicht in Reichweite hat, eben gehen muss.
Nein, 40h im Krankenhaus sind nicht genau so anstrengend wie 40h in irgendeinem x-beliebigen Wirtschaftsjob. Ich finde den MBB-Job, der ja als ach-so-stressig gilt, deutlich entspannter als die Kliniktätigkeit, weil ich nicht permanent unter Strom und dauernd am Rennen bin. "30 Minuten Coffee Chat" mit einem Kollegen? In der Klinik komplett undenkbar.
Nein, man kann sich seine Überstunden meist nicht aufschreiben. Oft löschen (!) die eigenen Vorgesetzten Überstunden sogar aus dem Programm. Illegal? Was willst du machen, die Klinik verklagen? Dein Vertrag ist auf 1 Jahr (wenn du Glück hast 2 oder 3) befristet, und was meinst du, wie viele Chefs dich noch einstellen, wenn die mitbekommen, dass du mal eine Rebellion angezettelt hast? Und ja, die bekommen das mit.
Zu Visitendiensten am Wochenende, die zur normalen Arbeitszeit hinzukommen, wurde ja oben schon etwas gesagt. Ich kann auch erklären, wo die herkommen: Man hat offiziell eine Wochenendarbeitszeit von 42h. Man arbeitet pro Tag also offiziell 8h, 24min - also, mit einer Stunde Mittagspause (die man eh nie nehmen kann und immer durcharbeitet), 8 - 17:24. Aufschreiben darf man sich aber nur die Zeit bis 17:00 (ganz egal, ob man bis 5, 6 oder 8 in der Klinik ist). Dadurch entstehen pro Tag 0.4 "Minusstunden", die man am Wochenende nacharbeiten darf. Möchte noch jemand das Arbeitszeitgesetz erwähnen?
Ja, ein paar Boomer-Ärzte haben ihre Schäfchen im Trockenen, und haben entweder leitende Tätigkeiten in der Klinik mit fürstlichen Altverträgen oder sitzen in der Niederlassung mit drei gekauften KV-Sitzen, wo sie dann die Jungärzte für 80k einstellen und selbst 60% des Reingewinns pro Sitz einstreichen. Die Praxis verkaufen sie dann zur Rente für siebenstellige Beträge an die einschlägigen Fonds. Aber diese Positionen sind für Jungärzte einfach nicht mehr erreichbar. Dass die Boomer sich alles unter den Nagel reißen und keine Entwicklungsmöglichkeit für die jüngeren Generationen lassen, ist kein Medizin-spezifisches Problem. Aber in der Medizin ist es besonders drastisch: Früher war der Deal so, dass man ein paar Jahre geknechtet wird und dann ausgesorgt hat. Dieser Deal stimmt einfach nicht mehr.
Abgesehen von alldem: Selbst im niedergelassenen Bereich erodiert die Profitabilität. Die Gebührenordnung für Ärzte hat sich seit den 90ern (!) nicht mehr geändert. Der EBM-Punktwert (quasi die Vergütung für Kassenpatienten) steigt pro Jahr um ~1%. Gleichzeitig steigen die Kosten mit der Inflation. Das geht nicht mehr lange gut.
Diese Probleme sind alle real. Und man kriegt das auch relativ schnell raus, wenn man sich mal 30 Minuten mit einem jüngeren Mediziner über seine Arbeitsbedinungen unterhält und nicht nur anonym in einem Forum neidisch und mit Schaum vorm Mund zusammengegoogleten Unsinn zusammentippt.
Und ganz ehrlich: Bestimmt kommt hier wieder die Leier von "Beruf, nicht Berufung", "gesellschaftliche Verantwortung, etwas aus deinem Studium zu machen" - nein. Genau so Beiträge wie oben haben mir gezeigt, wie wichtig ich der Gesellschaft bin - und ich habe meine Schlüsse daraus gezogen.
Um auf den zitierten Vorpost zurückzukommen: Es gehen immer mehr Ärzte. Ins Ausland, wo entweder Arbeitsbedingungen oder Gehalt besser sind und/oder wo man sich noch niederlassen kann. Oder in die Wirtschaft. Was meint ihr denn, warum man in vielen Häusern auf dem Land nur noch von Ärzten mit gebrochenem Deutsch behandelt wird?
Entweder den Deutschen dämmert so langsam, dass sich in den Kliniken etwas ganz grundsätzlich ändern muss, und zwar nicht nur in der Pflege, oder die Gesundheitsversorgung geht bald in noch größerer Geschwindigkeit den Bach runter. Aber, wie man in diesem Beitrag schön sieht, kann der Deutsche Verbesserung für Menschen, die etwas mehr verdienen als er selbst oder die er als "höherstehend" empfindet, nicht akzeptieren, aus purem Neid. Also muss es eben bergab gehen.
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