WiWi Gast schrieb am 19.12.2021:
Ist ja echt genial, dass hier ein Handwerksbetrieb mit ausgeprägter Schwarzarbeit der beruflichen Tätigkeit eines studierten BWLers verglichen wird.
Mag ja sein, dass ein erfolgreicher, selbstständiger Handwerker mit Schwarzarbeit das Einkommen eines Akademikers erreicht oder auch übertrifft. Der feine Unterschied ist hier nur, dass der BWLer sich für sein Gehalt nicht strafbar machen und seine Ganze Existenz riskieren muss.
Ansonsten verläuft die Diskussion hier wieder ähnlich wie in den ganzen "Lehrer verdienen mehr als ich - das ist so unfair" Topics und die einzelnen Berufe werden mal wieder rein aufs monetäre reduziert. Schnell ist die Rede von "Ich mach mich jetzt mal selbstständig im Handwerk, da verdiene ich mehr."
Ich will den Durchschnitts-BWLer, der die letzten 10 Jahre im beheizten Büro am Schreibtisch mit kognitiver Arbeit und Gleitzeit verbracht hat mal sehen, wie er bei Wind und Wetter morgens um 6 auf der Baustelle anzutreten und schwere, körperliche Arbeit zu leisten hat. Die Schwarzbaustelle am Samstag kommt natürlich noch on Top - aber das ist sicherlich kein Problem, wenn am Ende des Monats 200 Kröten mehr drin sind.
Und die ganzen eingefleischten Gesellen sowie die Kunden nehmen den BWLer, der gerade mal mit einer Bohrmaschine umgehen kann, mit Sicherheit ernst. Das Handwerk ist eine andere Welt - wenn du da nicht rein passt gehst du unter.
1) Vergleichst du Äpfel mit Birnen. Der langweilige Büroplatz, der für dich ein Ideal ist, ist für andere Typen der blanke Horror. Ein Käfig in dem man eingesperrt ist, sich nicht bewegen oder auspowern kann und auch nichts schafft, das man anffassen kann und auf das man auf Dauer stolz ist. Man sollte einfach akzeptieren, dass die Anlagen und Interessen völlig unterschiedlich sein können.
2) Verdienen Handwerker auch ohne Schwarzarbeit mittlerweile richtig gut. Ich bin in der Steuerberatung und muss schon sagen, dass ein Handwerker, der geschickt wechselt, heute bis zu 50 - 80% mehr verdienen kann als noch vor 10 - 15 Jahren. Die Tendenz ist auch steigend und nicht sinkend. Nein, das war nicht immer so, jetzt ist es aber so. Muss man akzeptieren, denn Angebot und Nachfrage manchen halt doch den Preis/das Gehalt.
3) Bei uns im Rhein-Main-Gebiet sind Einstiegsgehälter von 3,5+ brutto inzwischen normal und nochmal, wir reden hier von ausgebildenden Leuten und nicht vom Hilfsarbeiter auf dem Bau. Ich vergleiche ja auch nicht die Kauffrau im Einzelhandel mit dem BWL-Master. Wer das nicht sofort bekommt, kann es durch Wechsel schnell erreichen. Es herrscht ein absoluter Mangel.
4) Kenne zudem einige Handwerker, die tatsächlich noch Samstags schwarzarbeiten. Auf dem Dorf kommt das besonders häufig vor und die Chance aufzufliegen ist da 0,00. Heute kannst du da mit 25 - 35 Euro netto/Stunde mindestens rechnen. VOr 10 Jahren waren es eher 15 - 25 Euro. Auch die Preise haben angezogen. Kommt natürlich auch auf den Bereich an und das Erfahrungslevel. Jemand, der nur die Wände streicht verdient sicher weniger, als der Badmacher, Trockenbauer oder Elektriker. Klar. Trotzdem zum Vergleich, der normale Handwerker kostet dich normalerweise um die 45 - 80 Euro pro Stunde, wenn er regulär bezahlt wird. Da fährt man auch mit 35 Euro immer noch besser.
4) Bei 10 Stunden Arbeit sind das dann für den Handwerker auch schon wieder 250 bis 350 Euro die Woche, also 1000 bis 1400 Euro netto mehr im Monat. Das ist natürlich schon die monatliche Kreditrate eines großen Einfamilienhauses. Wo bekommst du die sonst in 10 Stunden pro Woche zusammen? Wenn man es hochrechnet entspräche das übrigens einem Netto von 4000 bis 5600 Euro bei einer 40 Stunden Woche im Monat. Zusätzlich zum normalen Gehalt. Die Schwarzarbeit ist daher schon extrem lukrativ und eben nicht so einfach abzutun, wie du es darstellt.
5) Wie gesagt, möchte ich hier gar keine X ist besser als Y Debatte befeuern, aber man muss schon realistisch sagen, dass der durchschnittliche BWLer sicher auch im Vergleich nicht ganz oben in der Gehaltsnahrungskette steht. Dass man aber auch nicht einfach switchen kann, versteht sich auch, denn Handwerker muss man auch sein wollen und das leben.
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