Bewerbungserfahrungen
Hi,
ich gieß jetzt mal Feuer in die Wunde und erzähl ein wenig davon, was niemand wirklich hören will.
Es wird hier relativ oft erzählt, dass die ganze WP-Branche unbedingt und händeringend Personal sucht. Das stimmt so leider nur aus Arbeitgebersicht.
Natürlich sucht man Personal. Aber dann 1,x Diplom, Auslandspraktikum und erste relevante(!) praktische Erfahrung.
Meine Erfahrung mit nem guten Bachelor ist (bin grad im Master), dass man eingeladen wird, aber so eine Grundskepsis herrscht immer. "Was kann der eigentlich?". Auch die Masterstudiengänge sind neu und in meinen Bewerbungsgesprächen war das oft Topfschlagen im Minenfeld ... IFRS kenn ich mich grundlegend aus, Steuern kann ich auch gut, aber HGB-Spezialfragen ... da haut man mich völlig aus der Bahn.
Kurzum: manche Unis/Hochschulen bilden fernab vom "Markt" aus. Entsprechende Studiengänge werden zwar angeboten, aber die Bedürfnisse der Unternehmen sind einfach anders. In vielen Bewerbungsgesprächen wurde auch so eine grundsätzliche "Marktanalyse" betrieben ... was kann der Studiengang, welche Besonderheiten hat er, was haben andere Hochschulen nicht, was machen ihre ehemaligen Kollegen jetzt - schon das sehe ich als grenzwertige Themen. Denn man bewirbt sich als Arbeitnehmer und will nicht derjenige sein, der nur Insiderinfos liefert und dann gehen kann. Da man aber den Job will und keine miese Stimmung aufkommen lassen will - und andererseits ists ja auch schön, dass Interesse gezeigt wird - liefert man die Infos. Aber eigentlich gehört das nicht ins Bewerbungsgespräch.
Ich hatte zuletzt das Gefühl, dass je größer das Unternehmen wird, umso enger der "gezeichnete Kandidat". Das heißt ... Bewerbungsgespräche werden gezielt danach geführt, dass man möglichst schnell nen Bewerber-TÜV macht und mögliche Abweichungen vom Wunschprofil sehr rasch identifiziert. Die Werbung vieler Unternehmen, möglichst eine echte Persönlichkeit ins Team zu holen, ist dabei die perfekte Irreführung. Mein Eindruck war eher, dass interne Richtlinien starke Vorschriften machen, wen man nehmen darf und wen nicht - egal wie groß Sympathie oder Antipathie im VG war.
Im Gegenzug habe ich sehr viele Gespräche geführt, bei denen ich mir danach gedacht hab: was weiss ich jetzt über den Arbeitgeber? Gar nichts! Personalverantwortliche und Chefs haben es einfach über die Jahre perfektioniert, unterschwellig ein völlig positives Bild abzugeben und einem auch ein gutes Gefühl zu geben - egal für wie dumm sie einen wirklich halten. Auf dem Bewerbermarkt passiert das gleiche. Jeder macht irgendeinen Kurs, um seinen Auftritt im VG zu perfektionieren und am Ende täuschen sich AG und AN perfekt, um sich danach zu streiten, dass man ja gelogen hätte. Denn eigentlich ist man nicht derjenige, der man vorgibt zu sein. Und das ist von Anfang an klar.
Schade fand ich auch mit der Zeit, dass immer mehr mittelständische Unternehmen (oder mal hart formuliert: "Pseudo-Mittelstand") diese Verhaltensweisen übernommen haben. Ganz grundsätzliche Fragen über Arbeitszeiten, Gehalt, Aufgabenbereich werden ungern besprochen und die Antworten fallen äußerst mau aus. Und gerade die Dinge, die immer Bewerbern als Fehler vorgehalten werden, werden von Unternehmen pefektioniert. Zu spätes Erscheinen ohne Ankündigung, unhöfliche Verabschiedung, anonyme Beschimpfungen am Telefon... das sind alles so Erfahrungen, die ich durch meine Bewerbungen gesammelt hab.
Fernab von illusionären Vorstellungen wie .. sich zu wünschen, dass Mitarbeiter sich verantwortlich für ihr Handeln zeigen, fände ich es schon viel fairer, wenn man zu mehr Ehrlichkeit im Bewerbungsprozess übergehen würde. Wenn jemand mich anrufen würde und sagen würde, hey erzähl einfach mal vom Studiengang und von deinen Kollegen, dann fänd ich das nicht unfair. Aber wenn ich anreisen muss, mich aufs Gespräch vorbereite und dann geht es eigentlich nur um Marktforschung, dann find ich das ziemlich unverschämt. Es kam mir auch oft nicht so vor, als wäre man auf der Suche nach neuen fachlichen Mitarbeitern. Vielmehr gefragt wären Leute, die über die Eltern neue Mandate an Land ziehen.
Besonders unsympathisch ist mir auch das arrogante Auftreten der Unternehmen, welches aus dem großen Auswahlpool an potenziellen Mitarbeitern erwächst. Als AN muss man sich schon im Bewerbungsprozess alles gefallen lassen ... vom Bewerber ewig warten lassen bis zu Reisekosten verschlampen. Dass WP keine "einfache" Branche ist, war mir immer klar. Da sehe ich aber die Arbeitszeiten einfach noch als das geringste Übel an. Wenn ich mir überlege, mich die ganze Zeit von den Vorgesetzten nur dissen lassen zu müssen, wäre mir da jeder Tag verschwendete Zeit.
Von "Bewerbermangel" oder "easy Jobsuche" ist also keine Rede.
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