WiWi Gast schrieb am 13.02.2021:
Na ganz einfach, wenn du in der Selbständigkeit einen 6-8x höheren Stundenlohn hast, wieso verschwendest du dann noch wertvolle Zeit für deinen Arbeitgeber? Hättest ja vermutlich auch ausgesorgt nach 10 Jahren.
Nein, so einfach ist es nicht! Ich hatte genau diese Antwort vermutet. So hatte ich vor ein paar Jahren auch gedacht, da ich schlicht nicht in der Situation war in welcher ich heute bin. Ich bin auch bei dir: es ist naheliegend das so zu sehen. Aber eben nur wenn man primär auf das Monetäre schaut.
Deswegen schrieb ich auch: "...versuche das Thema allumfänglich zu betrachten...".
1) Steuerliche Gestaltung und Optimierung: es gibt in einer Steuererklärung mehr als nur die Anlage N. Vor allem wenn du ein Mix von Einkünften im Sinne der ESt. z.B.: aus einer (oder mehreren) Selbstständigkeiten und/oder Gewerbebetrieben, ggf. noch aus Kapitaleinkünften und aus Vermietung und Verpachtung hast (Immobilien-Eigentümer zur Fremdvermietung) gibt es viele Optimierungspotentiale die (abhängig von deiner persönlichen Situation) eben dafür sprechen können auch weiterhin Einkünfte als Arbeitnehmer zu haben. Ich gebe im Jahr mehrere Tausend Euro für steuerrechtliche und juristische Beratung aus, da es schlicht nicht möglich ist das alleine zu verstehen. Außerdem möchte ich kein Steuerberater werden, sondern gut in dem sein was ich mache :)
2) (Sozial-)Versicherungsrechtliche Aspekte: Private oder gesetzliche Krankenversicherung? Rente? Es kann unter diesen Gesichtspunkten je nach Verhältnis von Betriebseinnahmen und Bruttojahresgehalt (als Angestellter) und je nach Verhältnis von Bruttojahres-Arbeitszeit (im Angestellten-Job) und Bruttojahres-Arbeitszeit in der/den Selbstständigkeiten sinnvoll sein (gerade unter steuerlichen Gesichtspunkten unter Punkt 1) weiterhin Angestellt zu sein. Genau genommen macht es unter diesem Aspekt sogar oftmals Sinn möglichst stark Teilzeit zu arbeiten. Know the system, to play the game.
3) Finanzierungstechnische Aspekte: Wenn du (wie ich) in Immobilien investierst dann beziehst du das hebelnde FK in der Regel von einer Bank. Für Banken bist du (gleiches EK vorausgesetzt) mit einem Angestellten-Job (z.B.: mit 3.000 EUR netto p.M.) wesentlich kreditwürdiger als ein Selbstständiger (mit z.B.: einem durchschnittlichen Brutto-Monatsumsatz von 9.000 EUR). Wenn du also des Bankers Liebling sein willst schaust du, dass du einen Angestellten-Job hast und einfach viel EK mitbringst. Banken lieben EK in Kombination mit einem festen, unbefristeten Job. On Top: als Selbstständiger kommst du bei Banken in der Regel direkt in die Gewerbefinazierungs-Abteilung. Das möchte ich vermeiden. Das kann ich auch formal solange ich einen Arbeitsvertrag habe.
4) Wechselwirkung Arbeitgeber und Selbstständigkeit: Ich profitiere vom Image meines Arbeitgebers - gerade in der Selbstständigkeit wo man sich in der Regel erst einen Ruf erarbeiten muss. Ich bin jedes mal froh auch nennen zu können wo ich arbeite (kennen vermutlich die meisten und es juckt niemanden ob ich das in Teil- oder Vollzeit tue) und es schafft bei meinen Kunden in der Selbstständigkeit eine Form des Vertrauens. Zudem profitiert mein Arbeitgeber auch von meiner Selbstständigkeit, da wir in einer ähnlichen Domäne (technisch betrachtet, natürlich nicht fachlich bzw. wettbewerbstechnisch) unterwegs sind. Weiterer Aspekt in diesem Kontext: mein Job bei meinem AG ermöglicht es mir ein großes Netzwerk von Kollegen zu haben, somit auch immer Up-To-Date zu sein was in der Industrie/Wirtschaft/Technik/Softwareentwicklung gerade los ist. Es gibt noch wesentlich mehr Aspekte in diesem Bereich, u.a. dass ich mit meinen großartigen Kollegen auch gerne zusammenarbeite oder, dass Teilzeit-Arbeite ohnehin die Arbeit als Angestellter wesentlich erträglicher macht....usw.
5) Ich will das Ding Heim holen: Mein Ziel ist es irgendwann nur noch die Dinge zu machen in denen ich gut bin und die mir Spaß machen. Vielleicht werde ich dann irgendwann auch den Entschluss fassen nicht mehr als Angestellter zu arbeiten. Diesen Schritt würde ich allerdings erst gehen wenn es "safe" ist. Ich arbeite nun seit Ende des Studium (der Groschen ist bei mir im ersten Berufsjahr gefallen) an meinem Lebensentwurf (mit IT) und weiß wann "vermögenstechnisch" der Break-Even erreicht ist: dann werde ich definitiv aussteigen. Aber nicht vorher! Es gibt imho dann nämlich nur bedingt einen Weg zurück und ich möchte das Thema Bewerbung, Bedeutung von Arbeitszeugnissen, toxischen Betriebsverhältnissen usw. gern gekonnt an den Nagel hängen und schlicht bedeutungslos machen. Dazu muss es "safe" sein.
6) Das ich heute bzw. die letzten 2-3 Jahre das 6-8 Fache in der Selbstständigkeit verdiene (Immobilieneinkünfte und Kapitaleinkünfte ausgerechnet) bedeutet nicht, dass das schon immer so war. Im Gegenteil: ich habe in meiner Selbstständigkeit (damals parallel im Studium gestartet) Jahre gehabt wo ich Umsätze von 1.500 Euro im JAHR hatte.
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