Hallo zusammen,
ich arbeite in der Marketingabteilung eines großen Reiseveranstalters und möchte gerne meine Erfahrungen, die ich in vielen Gesprächen mit Mitarbeitern gesammelt habe, mit euch teilen. Vielleicht hilft es ja einigen bei ihrer Entscheidungsfindung, ob ein Studium im Tourismusbereich das richtige für Sie ist.
Generell muss man sagen, dass das Einstiegsgehalt in der Touristikbranche sehr niedrig ist, wie es insgesamt bei allen nicht-technischen Studienberufen der Fall ist. Die hier genannten Zahlen kann ich daher bestätigen: das Durchschnittsgehalt bewegt sich zwischen 20K und 28k brutto p.a.
Natürlich lassen sich immer Extrembeispiele finden. So kenne ich auch einige Top-Verdiener mit 50k+. Allerdings sind das Einzelbeispiele, auf die man bei seiner Zukunftsplanung NICHT bauen sollte. Denn wenn ihr euch für ein Studium mit anschließendem Master entschließt, muss euch immer bewusst sein, dass das Einkommen eine absolut zweitrangige Position spielen muss (dies wird zumindest auf die breite Masse an Absolventen zutreffen).
Wie ebenfalls angemerkt, befinden sich Zentralen der großen Reiseveranstalter in den teuersten Städten Deutschland. Thomas Cook in Frankfurt (Oberusel), TUI in Hannover, FTI in München, Alltours in Düsseldorf. Die Verbindung aus niedrigem Gehalt plus teuren Lebenserhaltungskosten macht eine Studium aus wirtschaftlicher Sicht eigentlich unattraktiv. Natürlich gibt es prinzipiell immer Möglichkeiten, z.B. günstig an eine Wohnung zu kommen. Das Problem: In diesen Städten herrscht ein regelrechter Run auf günstig ausgeschriebenen Wohnraum, die Bewerberliste ist lang und zusammen mit der Provision und der Kaution dürft ihr im 1. Monat für eine kleine 2 Zimmerwohnung in einer ?schlechten? Wohngegend locker 3000-4000 Euro einplanen. Wenn dann noch Möbel dazukommen und Umzugskosten anfallen seid ihr schnell in einem Bereich, der für einen Uni-Absolventen zu einem Problem werden kann.
Ist also alles negativ in der Touristik-Branche? Natürlich nicht. Viele Mitarbeiter schätzen die geradezu familiäre Arbeitsatmosphäre. Der Zusammenhalt ist wirklich beeindruckend, die Ausstattung in den Firmenzentralen vorbildlich ebenso die Sozialleistungen. Allerdings entspricht diese Vorstellung eher dem klassischen Rollenbild einer ?Familie?: kaum Konkurrenzdenken, ein geradezu liebevolles Umgehen, gegenseitiges Verständnis usw. Personen, die gezielt ihr Studium mit besten Abschlüssen, mehreren Praktikas und Auslandaufenthalten gespickt haben, um nach all den Jahren den Benefit daraus zu ziehen, werden schnell von der Bezahlung und dem Daily Business enttäuscht sein.
Wie bei allen Studiengängen gilt auch hier: Informiert euch vorher genau, welche Positionen ihr später in der Touristik ausüben könnt. Sprecht eventuell Mitarbeiter z.B. über Xing an, auch auf die Gefahr hin, dass sie euch keine Auskunft geben. Geht auf Konferenzen und Stammtischen usw. Aber lasst euch nicht davon blenden, dass ihr Menschen kennenlernt, die euch das Blaue vom Himmel versprechen.
Ich möchte natürlich niemandem seinen Berufswunsch madig reden. Aus eigener Erfahrung kann ich aber klar und deutlich darüber aufklären, dass sich ein Studium in vielen Fällen einfach nicht lohnt. Ich möchte bei mir selbst keine Ausnahme machen: ein Studium ist immer wichtig und förderlich, aber ohne Arbeitserfahrung (als Vollzeitarbeitnehmer, nicht als Praktikant), ist eine berufliche Zukunft auf dem Papier nur sehr schwer planbar und häufig durch den Faktor ?Glück? bestimmt. Der Einstieg ins Berufsleben ist ebenso schwer wie der Absprung aus einem klassischen ?Einstiegsberuf? mit wenig Verantwortung, viel monotonen Tätigkeiten und einer schlechten Bezahlung.
Mein Fazit:
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Wenn ihr einen Job z.B. als Produktmanager bei einem Reiseveranstalter in Betracht zieht, benötigt ihr nicht zwangsläufig ein Bachelorstudium. Viele AG bilden Azubis in diesem Bereich aus. Auszubildende werden in der Touristikbranche sehr häufig übernommen. Und das wichtigste: Ihr verdient meist nicht mal weniger als Mitarbeiter mit Studiumabschluss und Auslandspraktika auf dieser Position. Denn häufig erhalten ?Neue? eben nicht die gleichen (tarifliche) Einordnung wie eigene Mitarbeiter.
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Bedenkt euren bisherigen Lebensmittelpunkt. Wenn ihr derzeit in Hamburg, Stuttgart oder München wohnt und mit den Lebenserhaltungskosten kein Problem habt, ist eine Position in der Reisebranche innerhalb eures Wohnortes durchaus reizbar. Viele Mitarbeiter haben einen langjährigen Freundeskreis, wohnen eventuell sogar ein paar Jahre mit Ihrem Partner zusammen. Wenn beide arbeiten gehen, steht man auch mit einem geringeren Gehalt auf einer finanziell tragbaren Basis.
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Falls der Punkt 2 nicht zutrifft, und ihr z.B. an der FH Worms studieren wollt, um dann später in Frankfurt oder München einen Job zu bekommen, solltet ihr euch zweimal vor Augen halten, dass die Entlohnung passen muss. Denn ich kenne genügend Beispiele, die mit ihrem Geld kaum über die Runden kommen und darauf angewiesen sind, einen arbeitstätigen Partner zu finden, um sich eine finanziell abgesicherte Zukunft zu ermöglichen. Die Fluktuation innerhalb der Touristikbranche ist sehr gering, daher sind die Aufstiegschancen durch Austritt anderer Mitarbeiter auch sehr gering. Wenn ihr dann noch Mitte/Ende 20 eure Familienplanung beginnen wollt, kommt für die meisten ein Berufswechsel sowieso nicht mehr in Frage.
- Die Touristik ist immer noch als typische ?Frauenbranche? (nicht abwertend gemeint) bekannt. Die familiäre Zusammenarbeit und das natürlich gewachsene Verständnis für die Familienplanung der Mitarbeiterinnen findet wohl in keiner anderen Branche so viel Gehör. Dies ist ein absoluter Pluspunkt und sollte immer in Hinterkopf behalten werden.
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