Re: Lehramt wesentlich attraktiver als freie Wirtschaft?
Ich hatte mich ja bereits vor einer Woche ca. zu Wort gemeldet. Neben BWL habe ich dann später auch noch Theologie studiert. Also etwas ganz anderes. Aber über das Studium bin ich dann an die Berufsschule reingerutscht.
Und es macht mich echt zornig, wenn ich Beiträge wie diesen lesen muss:
"Ach lol da versucht einer wieder mal den Lehrerberuf stressiger darzustellen als er ist!Das ist Freizeit pur!"
Da spricht einer wie der Blinde von der Farbe. Von der eigenen Schülererfahrung auf die Arbeit eines Lehrers zu schließen ist einfach zu kurz gesprungen.
Die Herabwürdigung des Lehrers hier im Forum ist echt kaum mehr auszuhalten.
Ja, es stimmt, die fachlichen Anforderungen an einen Lehrer sind im Unterrichtsfach, sofern es nicht die Oberstufe ist, nicht so gewaltig.
Ich gehe sogar so weit, dass die allgemeinbildenden Fächer in der Mittelstufe vom Wissen her von fast jedem Akademiker abgedeckt werden können.
Aber die Herausforderung liegt auf der anderen Seite. Ich will mit keinem meiner Schüler tauschen. Was viele der Schüler gerade in den einfachen Schularten in ihrem Leben bereits mitgemacht haben, das ist kaum zu glauben. Trennung, Scheidung, Gewalt, Mißbrauch in allen Variationen sind mehr der Standard als die Ausnahme. Ja, im Endeffekt liegt bei vielen Schülern ein Erziehungsversagen vor. Aber die Schule kann diese Lücke nicht füllen. Die Schüler selbst können ja aber nichts dafür! Sie sind Opfer ihrer Eltern bzw. deren sozialen Umstände. Wer etwas hinter den einzelnen Schüler schaut, der merkt gleich, wie psychisch anstrengend das wird.
Denn ich verstehe den Schüler, der nicht lernt. Wenn ihm daheim und in seinem sozialen Umfeld außerhalb der Schule immer nur vermittelt wird, dass Schule doch sinnlos ist und nichts bringt. Oder etwas besser Schule sei zwar wichtig, aber am Ende kommt man doch ohne lernen irgendwie durch. Und regelmäßiger Schulbesuch ist ja eh nicht notwendig. "Wenn ich keine Lust habe, komme ich nicht". Häufig sogar unentschuldigt. Jetzt ist es einfach den Schüler abzuhaken. Aber nachzufragen, die Situation des Schülers verstehen versuchen und mit ihm gemeinsam versuchen Wege zu finden. Das ist dann das, was Zeit kostet und zwar nicht zu wenig. Und nun hat man von 25 Schülern 10-15 Schüler die regelmäßig unentschuldigte Fehlzeiten haben. Als Klassenlehrer ist man da mehr wie bedient. Natürlich herscht Schulpflicht und man kann im Extremfall sogar ein Bußgeld verhängen... aber nützt das dem Schüler wirklich?
Die Pausen sind als allererstes Wegezeiten. Von Klassenzimmer A zum Lehrerzimmer, Materialtausch, vom Lehrerzimmer ins Klassenzimmer B. Bei einem entsprechend großen Schulgebäude kann das schon fast 5 min dauern.
Wenn man dann noch modern unterrichtet und ab und zu mit Beamer arbeitet, dann ist die Zeit mit Abbau schon rum. Nach jeder Stunde sich kurz hinsetzen, um sich Notizen zur Stunde zu machen, damit die mündliche Note nicht vom Himmel fällt wäre auch sinnvoll. Ein paar Takte mit ein oder zwei Schülern zu wechseln sollte auch nicht die große Ausnahme sein. Das kurze Gespräch mit einem Kollegen über Klasse xy und die Problemschüler sollte auch zur Normalität gehören. Die Zeit reicht dafür hinten und vorne nicht. Und deshalb kommen die "faulen" Lehrer sehr oft ein paar min zu spät in den Unterricht.
Ich will mal den Big4 Berater sehen, der von 7:30 bis 13:00 Uhr nur am durcharbeiten ist. Ohne echte Pause, ohne Smalltalk mit Kollegen. Ja selbst der Gang aufs Klo bringt alles aus dem Takt.
Eine weitere Baustelle sind die laufenden Schulreformen. In BaWü gibt es das OES (http://www.schule-bw.de/schularten/berufliche_schulen/oes/). Da kann man sehen, was Berater auch so gut können... gute schöne Formulierungen abliefern. Aber die Praxis ist etwas anderes.
In zwei drei Nachmittagen kann man QM nicht vermitteln. Aber plötzlich sollen alle, auch die, die es nie gelernt haben QM machen. Mit Zielen Arbeiten. ein QM Handbuch erstellen, Qualität nachprüfbar machen, Prozesse definieren und dokumentieren. Und zu guter letzt wird das ganze auch noch regelmäßig durch "externe Auditoren" (=auch Lehrer mit max Schnellbleiche) überprüft. Dokumentiert werden aber an fast keiner Schule Kernprozesse, denn mit denen könnte man ja bei den Auditoren nicht punkten. Sondern irgendwelche Sonderlocken. Damit kann man auch in der Wirtschaft einen Betrieb lahmlegen. Die Schule muss jetzt das alles neben dem ganzen normalen Geschäft (s.o.) hinbekommen. Ohne dafür auch nur annährend ausgebildet worden zu sein.
Eines der Qualitätsziele in einer Schulart ist bei uns zum Beispiel, dass die Schüler ihr Arbeitsmaterial dabeihaben. Vorgegebenes Zielniveau 80%.
Jetzt gab es im Schnitt über alle Klassen der Schulart letztes Jahr nur 50%. Also was nun? "Wir haben ja OES. Also müssen wir jetzt eine Maßnahme ergreifen. Setzen wir doch das Zielniveau auf 60% und schauen dann, was sich nächstes Jahr ergibt." Und für genau solche Besprechungen und Auswertungen geht viel Zeit drauf. Ohne Sinn und Verstand. Aber die Schulen sind verpflichtet es zu tun.
Aber klar. Wir Lehrer sind faul, dumm und drastisch überbezahlt.
Wenn wir Notendurchschnitte von 4,x haben, dann haben wir versagt.
Letzte Woche eine Klassenarbeit 2x1,0 und dann kam die Bugwelle deutlich hinter der vier... da hat eben ein großteil der Klasse sich geweigert zu lernen.
Und ohne lernen geht halt nichts. Auch nicht in der Schule.
Letztes Jahr gab es in der Oberstufe Mathe Schnitte von 1,x Punkten.
Das muss man auch psychisch erst mal aushalten.
Natürlich sieht es, wenn man am Gymnasium im Einzugsgebiet der wohlhabenderen Wohnviertel arbeitet oder gar an einem der Elitegymnasien für hochbegabte anders aus. Aber das sind die allerwenigsten Kollegen. Und dort hat man dafür fachlich ganz anderen Ansprüchen zu genügen.
Klar gibt es auch unter den Lehrern solche und solche. Allerdings sind solche, die ihre Arbeit ernst nehmen und sich selbst dabei häufig vergessen genau die, die mit Burnout oder sonstigen Beschwerden in Vorruhestand müssen.
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