Hallo zusammen,
die Frage war, wie der Arbeitsalltag des BL nach 2 Jahren ausschaut.
Ich nutze das mal, um ein wenig auszuholen.
Bei Aldi Süd begegnet man sich mit sehr viel Respekt und man steht zu seinem Wort. Spricht man mit Externen, die mit Aldi zusammen gearbeitet haben, sieht man das Leuchten in deren Augen, weil sie einen Vertragspartner kennen gelernt haben, wie sie ihn sonst nicht erleben ? klar in den Vorstellungen, effizient in den Verhandlungen und extrem zuverlässig hinsichtlich der Einhaltung von Absprachen. Aldi schaut sich sehr genau an, was machbar ist und fordert das auch von seinen Geschäftspartnern ein. Von dem, was allerdings nicht machbar ist, lässt Aldi auch die Finger weg.
Das sind auch die Werte, die man als BL vertritt. Als BL sollte man wissen, was in den Filialen möglich ist und das auch realisieren.
Die Führungsleitlinien sind die Grundlage der vertrauensvollen und transparenten Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern. Aufgrund der Führungskultur tritt das Personal in den Filialen sehr selbstständig und sehr selbstbewusst auf. Man wird in einer Filiale auch kaum nachhaltig die geforderten Zahlen bringen, wenn dort nicht alle gut ausgebildet sind und auch eine gute Stimmung herrscht. Auch kriegt ein BL über kurz oder lang massive Probleme, wenn die Stimmung in seinen Filialen schlecht ist und dafür keine nachvollziehbaren Gründe existieren. Leider werden die Führungsleitlinien nicht überall konsequent gelebt und leider kennt sie auch nicht jeder Filialmitarbeiter im Detail (da sie häufig nie ein Exemplar des Buches ausgehändigt bekommen haben).
Neben der Führung spielt bei Aldi auch die Informationskette von unten nach oben eine ganz entscheidende Rolle. Da geht es um Belange der Mitarbeiter, um Vorschläge und anderes.
Bei dem Blick hinter die Fassade einer anderen Handelskette, habe ich hinsichtlich des Auftretens der Mitarbeiter und der Führungskultur im Vergleich dazu schlimme Situationen erlebt, die bei Aldi durch die Führungsleitlinien ausgeschlossen wären.
Übrigens ist auch die wöchentliche Zeit, die ein BL seine Mitarbeiter in Gespräche bindet, sehr überschaubar. Die Filialmitarbeiter brauchen ihre Zeit, um ihren Job in der Filiale zu machen. Die meiste Gesprächszeit davon dient dann auch eher der Vertrauensbildung und des Sammelns von Eindrücken. Schließlich braucht man als BL ein gutes Bild von der Filiale, um Verbesserungen anzustoßen und spätestens dann braucht man auch das Vertrauen, damit Veränderungen auch umgesetzt werden, wenn es Verhaltensveränderungen der Filialmitarbeiter betrifft. Es ist keinem geholfen, wenn man schlicht mehr Leistung fordert und sich die Mitarbeiter dadurch behelfen, dass sie Arbeitsstunden nicht aufschreiben. Das ist nicht das Ziel und das hat der BL auch zu entdecken und zu unterbinden. Man ist halt dafür zuständig, die gegebenen Potentiale bestmöglich zu nutzen. Dafür gibt es selbst in diesem scheinbar einfachen System unglaublich viele kleine Stellhebel. Dieser Verbesserungsprozess, der auch häufig mit Kritik verbunden ist, macht nicht immer Spaß. Er läuft um so besser, je mehr alle Beteiligten an diesen Prozess gewöhnt sind und vertrauensvoll zusammen arbeiten. Erspart man sich diese kontinuierliche Verbesserung aber, tut man insbesondere seinen Mitarbeitern langfristig keinen gefallen. Denn das Resultat sind Mitarbeiter, die irgendwann hoffnungslos überfordert sind und die auch nicht mehr in der Lage sind, ihren Qualifikationsstand aufzuholen.
Fragt bei Rekrutierungsveranstaltungen mal die Regionalverkaufsleiter welches Schlüsselerlebnis ihnen zum Vertrauen der Filialleiter verholfen hat. Viele werden dazu eine Geschichte zu erzählen haben.
Aufgrund des kontinuierlichen Verbesserungsprozesses kennen insbesondere die alten Mitarbeiter die vielen Stellhebel für eine optimale Leistung meistens sehr gut. Andernfalls hat man sie führungstechnisch vergessen. Daher habe ich auch nur sehr wenig alte Filialmitarbeiter erlebt, die sich hinsichtlich ihrer Leistung gegenüber jungen Kollegen geschlagen geben mussten. Wenn sie denn körperlich tatsächlich nicht mehr so fit waren, kamen sie vermehrt in der Kasse zum Einsatz und da habe ich auch nie ein Murren unter den Kollegen mitbekommen, dass einer weniger körperlich arbeiten musste. Nur in sehr wenigen Filialen habe ich Mitarbeiter kennen gelernt, die offenbar anfangs unzureichend ausgebildet wurden und dann im Alter einfach nicht mehr zufriedenstellende Leistungen erbracht haben. Bei Aldi waren das für mich Ausnahmen. Von daher sehe ich Aldi da eindeutig im Vorteil, da hier die Führenden in der Verantwortung sind, dass die Arbeitsweise stetig hinterfragt und optimiert wird. Dass der Anteil von alten Arbeitskräften in den Filialen gering ist, hat auch einen ganz einfachen Grund. Aldi ist sehr stark gewachsen und die neuen Mitarbeiter sind in der Regel in jungem Alter dazu gestoßen. Zudem waren insbesondere Kassiererinnen häufig nicht die Hauptverdiener im Familienverbund, so dass sie häufig auch aus familiären Gründen die Arbeit aufgegeben haben.
Dennoch arbeiten bei Aldi Süd nur Menschen. Diese machen auch Fehler. Daher habe ich auch bei Aldi Süd Führungsentscheidungen erlebt, die ich nicht unbedingt begrüßt habe.
Während meiner Zeit bei Aldi Süd habe ich mit ungefähr 18 ausgebildeten BLs zusammen gearbeitet. Mindestens 2 davon sind Geschäftsführer geworden. Mindestens 3 weitere davon sind zumindest in die Prokuristenebene gekommen. Mindestens 5 davon gehörten zur alten Garde der BL, die für das Unternehmen extrem wichtig sind. Mindestens 4 haben sich von Aldi getrennt, weil sie anderweitig für sich bessere Karriereperspektiven gesehen haben. Bei ungefähr 4 weiß ich nicht, wie sich deren Karriere entwickelt hat.
Ich finde, dass das für sehr gute Karriereperspektiven bei Aldi Süd spricht. Es gab allerdings auch eine ganze Reihe von BLs, die während der Einarbeitung gegangen sind.
In den Gesellschaften, die ich kennen gelernt habe, galt für den BL in der Filialzeit, dass er sich an die Arbeitszeitbegrenzungen der Filialleiter halten musste und sich damit auch den Herausforderungen der Filialleitungsübergabe während des Tagesgeschäftes stellen musste. Schließlich ist es deutlich einfacher, die Filiale ohne Übergabe den ganzen Tag zu führen. Der BL muss aber die mit der Übergabe verbundenen Herausforderungen kennen. Daher dürften insbesondere in der Filialzeit die Geschichten mit den 100 Stunden Wochen nicht mehr vorkommen.
Im ersten Jahr als Trainee leistet der BL wenig und bekommt sein Geld und den Dienstwagen. Das ist für Aldi teuer.
Im zweiten Jahr muss der BL die vielen verschiedenen Herausforderungen im Jahresgeschäft das erste mal völlig selbstständig bewältigen. Da fehlt vor allem die Routine. Daher ist auch das zweite Jahr eine erhebliche Herausforderung.
Ab dem dritten Jahr kennt man das Jahresgeschäft und hat die erforderliche Routine. Die Pflichtroutine wird zur Nebensache. Mehr als 2 Stunden je Filiale und Woche sollte man für die Routine nicht brauchen. Andernfalls könnte man auch nicht mal 2 Bereiche mit bis zu 14 Filialen über Monate hinweg führen, was durchaus passieren kann. Wenn man die übliche Bereichsgröße betreut, hat man dafür Zeit, sich intensiv der Personalentwicklung zu widmen.
Damit komme ich zu der alten Garde der BL. Sie sind für die Regionalgesellschaften extrem wichtig. Wenn eine Regionalgesellschaft diese aus Kostengründen entlässt, wie hier auch mal behauptet wird, gehört das verantwortliche Personal in der Regionalgesellschaft ausgetauscht.
Kleine Nebenrechnung zur Veranschaulichung:
Bsp.: Gehalt ab 4. Jahr 100, ab 3. Jahr 85, ab 2. Jahr 75 und 65 im ersten Jahr. Wenn nun der Auszubildende BL im ersten Jahr nur eine Leistung im Gegenwert von 25 erbringt, so hat er frühstens bis zum Erreichen des 4. Jahres sein Investment herein gespielt, wenn man ein faires Gehalt von 100 unterstellt. Die Anwerbungskosten sind dabei noch nicht einmal berücksichtigt. Der altgediente BL ist daher nicht teurer, dafür aber zuverlässig und bewährt.
Die alte Garde der BL sind die, die nicht befördert wurden und trotzdem länger als 4 bis 5 Jahre im Unternehmen bleiben. Sie braucht die Regionalgesellschaft zur Ausbildung der neuen BL und als Feuerwehr, falls das Durchlaufsystem der BL ins Stocken gerät. Gibt es plötzlich zu wenig BL, muss die alte Garde der BL diesen Engpass überbrücken und zeitweise sehr viele Filialen betreuen. Doch selbst in diesen Phasen müssen sie neue BLs parallel dazu ausbilden.
Dabei muss man bedenken, dass der BL als Durchlaufposition konzipiert ist. Hier steigen die Nachwuchstalente ein, werden eingelernt, aussortiert oder von dort aus weiter entwickelt. Die alte Garde der BL ist absolut notwendig, damit dieses System funktioniert. Wenn man sich diese Menschen anschaut, so sind das in der Regel sehr gelassene Typen mit einer ausgeprägten Souveränität. Jede Regionalgesellschaft hat mindestens zwei bis drei solcher altgedienten BL.
Diese BL der alten Garde prägen die neuen BL sehr stark.
Je nach Gesellschaft werden die BL der alten Garde dementsprechend gut behandelt. Wenn bei solch BLs alles rund läuft, dann haben die in der Regel extrem kurze Wochenarbeitszeiten. Da können andere nur von träumen. Bei mir schwankte die wöchentliche Arbeitszeit zwischen 30 und 70 Stunden.
Als BL kann man neben der Bereichsarbeit auch noch Projekte übernehmen. Da kann es sich um ganz unterschiedliche Aufgaben handeln. Im Prinzip werden die einem zwar angetragen. Dennoch kann man sich auch gezielt welche schnappen oder auf Kollegen hoffen, die eben das tun.
Man sollte auch tunlichst auf die Ratschläge der älteren BL hören. Die kennen die Befindlichkeiten und das Beziehungsgeflecht sehr genau. Wenn man diese Ratschläge beherzigt, kann man die Fettnäpfchen, die einem das Leben bei Aldi schwer machen können, sehr gut umschiffen.
Die Tätigkeit des BL bei Aldi Süd ist vor allem ein Menschenbusiness und gerade hier hat man sehr viel Gestaltungsspielraum. Nicht jeder ist dafür gemacht. Man darf sich für keine der Arbeiten, die in dem Unternehmen anfallenden, zu fein sein. Wenn man das alles erfüllt, kann das ein sehr lustiger Job mit viel Spaß werden, bei dem man nicht an einen einzelnen Schreibtisch gebunden ist.
Im Nachhinein betrachtet, schätze ich Aldi Süd sehr für sein Führungssystem. In Gesprächen mit meinen ehemaligen Kommilitonen, die in anderen Unternehmen und Branchen ihre Karrieren machen, komme ich immer wieder zum Schluss, dass die Führungskultur und das Arbeitsklima in vielen Unternehmen viel schlechter ist. Das Führungssystem von Aldi Süd mag sehr steif wirken. Dennoch habe ich das Gefühl, dass es gerade durch das klare Führungssystem verhältnismäßig einfach wird, gut zu führen. Meinem Eindruck nach, scheint gute Mitarbeiterführung in deutschen Unternehmen selten anzutreffen zu sein. Und eben das ist es, was ich von Aldi Süd vermisse.
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