Ich rechne deinen "Willen zur Veränderung" hoch an. Das ist nicht selbstverständlich und in diesem Sinne hoch anzurechnen. Dennoch sollte man realistisch sein:
a) Die IB-Branche ist bei Weitem nicht so glanzvoll wie du es dir vorstellst:
Die Arbeit ist über weite Teile deiner Karriere noch 10x weniger spannend als du es in deinem derzeitigen Job überhaupt nur vorstellen kannst. Bis zu einer gewissen Ebene bist du in einer klaren Hierarchi ein reiner Zuarbeiter. Du verbringst stunden an stumpfen Aufgaben, aktualisierst Excel-Tabellen, bastelst PowerPoint Folien, usw. Normale Büroarbeit – nicht mehr, nicht weniger. Das
Problem: Du tust dies, je nach Firma, Fokus, etc. 60-80+ Stunden die Woche. Unterschätze diese Arbeitsbelastung nicht. Dir bleibt kaum Zeit mehr zum "Leben". Du stehst morgens um 08:00 Uhr auf, gehst zu Arbeit und hockst hier nicht selten bis 23:00 Uhr+ im Büro. Wenn deine Freunde am Donnerstag Abends im Englischen Garten sitzen, sitzt du fünf Stunden an einem PowerPoint Deck welches dein Manager am nächsten Morgen innerhalb von fünf Sekunden löschen wird, da "irrelevant". Das ist extrem frustrierend. Es dauert mind. drei Jahre ackern und schlucken bis zu Positionen, in welchen du zum ersten Mal etwas mehr Kundenkontakt hast. Dann darfst du mal mit den anderen Banken telefonieren, einen Kunden updaten, etc. Wirklich verhandeln, das "coole" machen tust du nicht. Der Druck wird größer, die Stunden nicht weniger, dein Freundeskreis schwindet, die Gesundheit ebenso, nur das Konto wächst.
Als Ingenieur kannst du rechnen: Du verdienst aktuell bei <40h 65k. Selbst im unwahrscheinlich-glücklichen Fall eines Einstiegs bei einer der Top-Banken wirst du anfangs kaum mehr als 90k sehen. Brutto. Netto hast du dann im Vergleich 13k€ mehr – bei doppelter Arbeitsbelastung. Ist es dir das wert? Faktisch verringert sich dein Stundenlohn. Ebenso deine Lebensqualität.
Zudem: Bedenke, dass du mit Kollegen konkurrierst, welche 5-10 Jahre jünger sind. Die bringen in der Regel noch mehr Energie, sind eher Bereit alles für die Karriere zu opfern und; wollen keine Familie gründen. Unterschätze das nicht. Angenommen, du schaffst es tatsächlich durchzuhalten und wirst nach ca. 10 Jahren zum MD befördert. Du hast es geschafft, verdienst in der Tat das große Geld. Aber welchen Preis hast du gezahlt? Es mag Ausnahmen geben, aber ein Großteil der VPs/MDs welche ich in meinem Leben bisher kennenlernen durfte waren ausgebrannt, kaputt und vor allem allein. Da fallen dann auch irgendwann die noch immer horrenden Stunden Arbeit nicht mehr auf, da es sowieso keine Alternative mehr gibt. Freunde? Haben sich mit der Zeit entfernt, haben selbst wenig Zeit, da Familie. Irgendwann fragst du dich, für was du das alles gemacht hast? Vielleicht liegt jetzt die erste Million auf dem Konto, vielleicht besitzt du ein tolles Haus, einen schönen Wagen. Was hast du aber alles verpasst? Das solltest ddu gegenrechnen und ehrlich drüber nachdenken.
b) Angenommen, du möchtest es noch immer durchziehen:
Für einen Einstieg in den entsprechenden Bereichen braucht es a) ein relevantes Studium. In USA/GB darf dies auch gerne fachfremd sein, d. h. z. B. Ingenieur, dann aber idR aber auch nur von einer Target Uni. – in Deutschland sind wir konservativer. Hier ist es schwieriger ohne relevante Studiumserfahrung einzusteigen. Target-Unis haben wir in diesem Sinne nicht. Eine FH wäre so oder so nicht dabei. Neben dem richtigen Studium benötigt es konkrete Erfahrung in der Branche. Ein erfolgreicher Ingenieur ist, so sehr dies bullshit sein mag, für die IB-Branche erst einmal "wertlos". Was zählt sind relevante Praktika, am besten mehrere, in anderen Banken & Co. Hast du ebenfalls nicht.
Um überhaupt eine realistische Chance zum Einstieg zu haben brauchst du mindestens ein, wenn nicht zwei entsprechende Praktika. Ob du diese bekommst – fraglich. Am besten in Kombination mit einem Master oder, noch besser, MBA. Das kostet dich neben extremen Studiengebühren aber auch noch einmal mindestens ein Jahr Opportunitätskosten. Dann hast du vielleicht eine Chance einzusteigen. Jedoch nicht auf mittlerer Management-Ebene sondern am ehesten als Analyst, d. h. du startest von vorne, konkurrierst mit jüngeren, etc. (siehe oben). Willst du das wirklich?
Wenn du partout aus deinem jetztigen Job weg willst und die Arbeitsweise (Großkanzlei, IB, etc.) dir zusagen könnte, empfehle ich einen Blick in Richtung Consulting. Hier hast du mit deiner Ausbildung und Vorkenntnis deutlich mehr zu bieten. Zudem etwas weniger hart als IB, dafür wirst du aber auch anfangs kaum mehr verdienen als in deinem jetztigen Job. Bei 55h+ statt 38...
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