WiWi Gast schrieb am 02.09.2024:
Beantworte ich gerne, so gut ich kann.
Der US-Markt ist nicht per se unreguliert. Im Gegenteil - was die Arbeitsbewilligung von ausländischen Ärzten angeht, haben die USA vermutlich die höchsten Hürden weltweit.
Ein Medizinstudium in den USA ist nicht nur teuer, auch die Zugangshürden sind sehr hoch. Anders als bei uns ist es kein grundständiges Studium. Notwendig ist ein Bachelor mit "medizinisch relevantem" Inhalt, hervorragende Noten und zusätzliches Engagement. Das kann beinhalten, jahrelang im Krankenhaus "volunteered" zu haben, mehrere Jahre im Life-Science-Bereich geforscht und publiziert zu haben, usw.
Beim Gehalt von US Nurses bist du falsch informiert, die Gehälter liegen, je nach Gegend, zwischen $80-130k. 130k sind in "High cost of living" (HCOL)-Städten allerdings nicht wirklich viel, auch Bauarbeiter fahren dort sechsstellige Gehälter ein.
Auch die Preisbildung erfolgt nach gewissen Regeln Medicare und Medicaid sind Regierungsprogramme mit staatlich regulierten Preisen - allerdings ist kein Arzt verpflichtet, diese Patienten in seiner Praxis zu versorgen. Private Versicherungen (Regelfall für Mittelschicht aufwärts) verhandeln die Preise direkt mit Providern (Krankenhäusern sowie "Networks" von Praxen). Man hat hier also letztlich Angebot und Nachfrage, und die Regierungsprogramme können mit ihren Preisen nicht zu sehr von den "Marktpreisen" abweichen, weil diese Patienten sonst nicht mehr versorgt werden.
Zusammengefasst:
USA:
Preisseite:
- Preisbildung: Primär Angebot und Nachfrage, mit staatlicher Komponente
Angebotsseite:
- Inländische Ausbildung: Start reglementiert, sehr hohe Zugangshürden, sehr teuer
- Zugangshürden für Ausländer: Sehr hoch
- Weitestgehende Niederlassungsfreiheit bzgl. Praxen (mit ein paar Einschränkungen, die hier jetzt aber zu weit führen)
- Ebenso große Freiheit bzgl. der Eröffnung neuer Kliniken
Deutschland (ausführlicher, weil in diesem Beitrag noch nicht erläutert):
- Preisbildung: Weitestgehend unter staatlicher Kontrolle
Angebotsseite:
- Inländische Ausbildung: Hohe Zugangshürden (10-Abi schafft auch nicht jeder), allerdings keine relevanten Gebühren
- Zugangshürden für Ausländer: Keine für EU-Ausländer, niedrig für Ärzte aus dem Ausland; die Facharztanerkennung ist für nicht-EU-Ärzte allerdings oft schwer zu bekommen
- Niederlassungsfreiheit im privatärztlichen Bereich, vollständige öffentliche Kontrolle des Angebotes im kassenärztlichen Bereich - da die Kassensitze mittlerweile Handelsware geworden sind und Funds ganz andere Topline und Cost Synergies realisieren können, ist der Kauf eines Kassensitzes für einen einzelnen Arzt kaum mehr wirtschaftlich. Als Konsequenz enden mittlerweile die allermeisten Ärzte in der Anstellung
- Kliniken sollen ihren Investitionsbedarf von den Ländern finanziert bekommen, ihre wiederkehrenden Ausgaben allerdings aus den Einnahmen aus der Patientenversorgung decken; weil die öffentlichen Investitionen nicht ausreichen, wird versucht, den Investitionsbedarf teilweise mit den wiederkehrenden Einnahmen zu decken - indem man die "wiederkehrenden Ausgaben" drückt. Einzige echte Stellschraube sind hier die Personalschlüssel- und gehälter. Für die Pflege wurden Untergrenzen festgelegt, für Ärzte nicht. In Lauterbachs Krankenhausreform soll das alles geändert werden (Details erspare ich euch), aber die Erwartungen von Seiten derjeniger, die sich hier auskennen, sind nicht sehr hoch
Ich denke, dass aus diesen Punkten hervorgeht, warum die Ärztegehälter in den USA so viel höher sind (weniger Regulierung von Angebot und Nachfrage + höhere Barrieren für Außenstehende). Und bekommt vielleicht auch eine Ahnung, warum der Arztberuf in Deutschland von Ärzten als immer unattraktiver wahrgenommen wird.
Ein ärztlicher Kollege von mir meinte, dass er mittlerweile jede Woche mit 2-3 "Bekannten von Bekannten" spricht, die dem Arztberuf entfliehen wollen.
Und hier reden Leute davon, dass die Ärztegehälter hierzulande zu hoch seien, weil Ärzte "aus Sozialabgaben finanziert werden" (= gezwungen werden, in einem völlig verstaatlichten System mit Preisen unter der Zahlungsbereitschaft- und fähigkeit der Patienten zu arbeiten) und man ja so viel besser verdiene als der Rest (~80% heutzutage mit gläserner Decke zwischen 80 und 120k, nach 12+ Jahren Studium und Facharztausbildung mit unterirdischen Arbeitsbedingungen).
Macht euch nicht weiter lächerlich!
Erstmal vielen Dank für deine ausführliche Antwort. Beim thema Nurse salary hatte ich
gefunden, dass der "Certified Nurse Anesthetist" wohl um die 200k im median verdient. generelle Nurse Practicioners wohl weniger. Beides sind in den USA aber wohl eigenständige Studiengänge.
Ohne Dir zu nahe treten zu wollen, aber das von Dir beschriebene System in den USA hört sich eher weniger nach freier Marktwirtschaft, als nach einem El Dorado für Ärzte an - ähnlich stark reguliert auf der Zugangsseite wie in DE, dafür aber fast freie Preisbildung nach Gesetzen von Angebot und Nachfrage. Klar, dass da die Löhne (und die Kosten für die Bevölkerung) durch die Decke schießen. Du nennst das dann angemessene und faire Bezahlung für das harte und aufwändige Studium der Ärzte. Kann man sicher so sehen. Ob das gesellschaftlich gesund oder "fair" ist, wage ich mal zu bezweifeln. Meiner Auffassung nach ist es eher Staatsversagen, denn Gesundheitsversorgung ist nunmal ein essentieller Bestandteil einer funktionierenden Gesellschaft. Wenn die Kosten dafür explodieren, ist es eine Bremse für die gesamte Volkswirtschaft. Was nicht heißt, dass ich gegen faire und gute aber leistungsgerechte Bezahlung für Ärzte bin.
Aktuell ist es aber so, dass zb in Deutschland mindestens 10 mal so viele junge abiturienten Medizin studieren wollen, wie es Plätze gibt. Plätze werden fast ausschließlich nach Abiturnote vergeben. Zweitstudienquote wurde auf 3% heruntergefahren, was es exzellenten Studenten anderer Fächer mit den von dir erwähnten Publikationen quasi unmöglich macht, noch Arzt zu werden. Gleichzeitig ist die Durchfallquote im Medizinstudium verschwindend gering. Warum also nicht mehr Leute zulassen und dann im Studium ausieben, so wie es in allen anderen Fächern auch gemacht wird?! Oder zumindest die Zweitstudienquote erhöhen - das wäre Mmn fairer. Besonders im anbetracht der tatsache wie ungleich das Abitur in DE ist.
Noch zum Thema harte Assistenzarztzeit: Das ist sicher absolut richtig und Kritikwürdig. Hier sehe ich auch klares Politikversagen. Die Chefärzte haben einfach viel zu viel Macht an den Unikliniken, verdienen alle Millionengehälter (obwohl oft im Beamtenverhältnis) und regieren ihre kleinen Königreiche ohne externe Kontrolle, so wie es ihnen passt. Sexismus, Diebstahl wissenschaftlicher Erkenntnisse und Mobbing an der Tagesordnung. Die Politik schaut weg und ist froh wenn es keine Beschwerden gibt. Auf der anderen Seite hab ich auch manchmal das Gefühl, dass einige Ärzte diesen Lifestyle und die Kultur ganz nett finden. Die Schwester cholerisch im OP anschreien? - ziemlich cool. Mit wehendem Kittel und super wichtig zwischen zwei 6 stunden Ops noch ne line Koks - super toll! Das Universitäre Gesundsheitssystem wirkt auf mich von extern betrachtet komplett toxisch. Was auch der Grund ist, warum ich als Naturwissenschaftler trotz fachlich großem Interesse einen riesen Bogen um Unikliniken mache. Die Wahrscheinlichkeit, einen überarbeiteten narzisstischen Arzt als chef zu bekommen, ist einfach sehr groß.
Zum Thema lange Ausbildung: Du sagst 12 Jahre und suggerierst dass du erst dann geld verdienst. Wie hier schon oft dargestellt, ist die Ausbildung 6 Jahre lang bis zu einem Masteräquivalent. Wenn du mit einbeziehst, wie kurz die Promotion für mediziner ist, dann ist das Med-Studium (bis zur promotion) das kürzeste Studium in Deutschand. Frage die ganzen Nawis die auf halben stellen 5 jahre im labor hocken und danach keine abcashgarantie haben.
Danach steigst du mit aktuell rund 3500 netto Grundgehalt an Unikliniken ein. Dienste kommen on top. Was vielleicht nicht Mckinseyniveau, aber ein super Gehalt ist und was sich inklusive diensten über die assitenzarztzeit auf rund 100k steigert. Wenn ärzte Mckinsey und Powerpoint Bullshit geil finden, steht ihnen auch das offen. Erfahrungsgemäß schätzen viele Ärzte aber auch die Sinnhaftigkeit ihres Berufs.
Im allgemeinen ist die Ausbildungsdauer für Berufe unbedeutend. Frag mal an den Unilkliniken die promovierten Biologen (10 Jahre Ausbildung) die sich im 2 Jahrestonus ihre Vertragsverlängerung vom Klinikdirektor erbetteln muss und den sie dafür auf jedes Paper mit raufschreibt ohne dass der Typ irgendwas gelesen hat.
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