Langsam ermüdet mich der windmühlenartige Kampf gegen den immer gleichen Troll hier: ich kritisierte die Angst der Pseudo-Eliten in diesem Forum vor ihrem intellektuellen Bedeutungsverlust und werde dann bezichtigt, genau diese Angst selber zu haben? Ich denke, dass mein obiger Beitrag bei genauer Lektüre die nötige Demut vermitteln konnte, um genau zu erkennen, dass ich nicht in diesem Denken verhaftet bin. Irgendwann will man aber wahrscheinlich gar nicht mehr richtig lesen...
Dies spiegelt sich exemplarisch und wiederkehrend auch im Bereich der Diskussion über die Belege wider. Die einzige eindeutige und belastbare Evidenz, welche hier bisher vorgelegt wurde, waren die Peer-Studien zu den verschiedenen Lernstandserhebungen im Einklang mit dem Bildungsbericht der OECD. Die Argumente über den Verfall des Bildungsniveaus werden hier eigentlich nur mit persönlichen Erfahrungen und Gefühlen untermauert, statt sich auf die kumulative Auswertung von Experten zu verlassen. Dass dies nun auch wieder verdreht wird ähnelt der bei modernen Rechtspopulisten beliebten Vorgehensweise, die eigene wacklige Faktenbasis durch ein schnelles Schreien über "Fake News" beim Diskussionspartner zu vertuschen.
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Einzig und allein um dieses Beitrags Willens, gehe ich gerne auf einige Punkte ein (welche ja nicht mit Quellen versehen sind):
- „Die Ergebnisse der Intelligenzforschung - einschließlich Flynn - sehen eine gleichbleibende oder sinkende Intelligenz in den Industrienationen seit 1991“:
Es wurde zwar bereits ausführlich erklärt, aber gerne nochmal: Die Evidenz ist gemischt. Auch neuste Meta-Studien finden robuste Ergebnisse für einen weltweit anhaltenden Flynn-Effekt, wenn auch mit einer Konvergenz in Industrienationen. Diese Annahme macht Sinn, da der Einfluss von Umweltfaktoren bei der begünstigenden phänotypischen Entwicklung langsam an ihre Grenzen zu stoßen scheint – dies ist auch anhand der positiven Korrelation zwischen IQ und Körpergröße zu sehen, welche ebenfalls in EU/USA zu ihrem biologischen Limit konvergiert. Die Argumentation über ein eindeutiges Stagnieren basiert auf einer selektiven Auswahl von Testergebnissen und begründet sich fast ausschließlich über dysgenische Effekte, welche empirisch bisher nicht ausreichend untersucht wurden. Falls diese zustimmten, müsste man davon ausgehen, dass sich moderne Gesellschaften mit Bezug auf IQ einer sinusförmigen Funktion folgend entwickelten. Gerne ein paar Links (guckt sich ja eh keiner an):
- Flynn, James R. What is Intelligence?: Beyond the Flynn effect. Cambridge University Press, 2007.
- Trahan, Lisa H., et al. "The Flynn effect: A meta-analysis." Psychological bulletin 140.5 (2014): 1332.
- Dutton, Edward, Dimitri van der Linden, and Richard Lynn. "The negative Flynn Effect: A systematic literature review." Intelligence 59 (2016): 163-169.
Was soll das ganze also? Einfach mal aufzeigen, dass die Erklärungen nicht immer so einfach sind, wie sich das hier manch einer gerne wünscht.
- „Die Intelligenz ist immer noch normalverteilt“:
Welchen Beitrag leistet diese axiomatische Feststellung? Da der Charakter eines Index die Normierung ist und der IQ auch stetig angepasst wird, ist dies selbstverständlich. Der wiederkehrende Denkfehler in dieser Diskussion ist, dass das Abitur früher nur die klügsten 15% geschafft haben. Wie aber bereits angemerkt, sind auch früher deutlich weniger Menschen zum Abitur angetreten, da es nicht als gesellschaftlich essentiell betrachtet wurde.
- „Die Testergebnisse der Bildungsstudien sind teilweise katastrophal“:
Falsch, die meisten Studien zeigen steigende Lernstände (Pisa, Times, Iglu, Vera3, Vera8), von höchster Stelle (OECD) bestätigt. „Teilweise“ ist hier übrigens auch ein schönes Stichwort für typisch populistische Selektion.
- „Die Arbeitgeber beschweren sich massiv über die Kenntnisse der jungen Leute“:
Das fällt wohl in die Kategorie „alles schon gehabt“ und „früher war alles besser“, denn Beschwerden über den Verfall von Sitte und Bildung fingen schon bei Aristoteles an. Es mag einige Berichte darüber gegeben haben. Diejenigen, die ich sah, handelten aber alle von der mangelnden Praxiserfahrung oder basierten auf Vergleichen zwischen Bachelor und Diplom. Dass dieser Vergleich keinen Sinn macht, wird sogar hier einigen einleuchten. Ob eine Auflösung des guten deutschen dualen Ausbildungssystems zu Gunsten des Bachelors sinnvoll ist – darüber kann man sehr gerne diskutieren. Finde ich nämlich auch nicht.
- „Einstellungstests beim Staat müssen von den Anforderungen heruntergesetzt, um überhaupt Leute einstellen zu dürfen (Beispiel: Polizei)“:
Die Tests wurden gar nicht leichter. Der Grenzwert, mit dem man besteht, liegt einfach tiefer, da sich weniger qualifizierte Menschen bewerben als früher (Beruf wirkt unattraktiv), und gleichzeitig mehr Polizisten eingestellt werden müssen. Dies hängt auch damit zusammen, dass heute mehr Menschen studieren, die sonst vielleicht eine Laufbahn bei der Polizei eingeschlagen hätten. Man könnte also lieber über das sinkende Niveau in der Masse des Polizeikörpers diskutieren.
- „Es studieren knapp 60% eines Jahrganges“:
Interessant, allerdings sind da auch ausländische Studienanfänger mit eingerechnet, was natürlich für unsere Diskussion keine Relevanz hat, sondern höchstens die internationale Reputation unseres Hochschulsystems unterstreicht. Ohne sie betrug die Quote 47,9%.
- „Ein IQ von unter 100 ist damit für ein Abitur mehr als ausreichend“:
Hat niemand bestritten, aber was soll uns das sagen? Die potentiellen Gründe, warum früher weniger Leute das Abitur ablegten, wurden ausführlich erläutert und lagen höchstwahrscheinlich nicht am vermeintlich höheren Schwierigkeitsgrad (guck dir doch mal ein paar Aufgaben von früher an, du wirst schmunzeln).
- „Die Lehrer beschweren sich über massiven Druck von oben, immer ein Auge zuzudrücken oder die Ministerien greifen direkt ein und ziehen zu "schwere" Aufgaben aus dem Verkehr (Beispiel: Hamburg)“:
Da stimme ich ausnahmsweise mal zu, Hamburg ist bildungspolitisch aber auch ein schwarzes Schaf. Die Durchschnittsabschlussnoten liegen ansonsten immer noch bei 2,1 – 2,4 - ich sehe da keine Inflation. Und die Vergleichbarkeit wird zumindest teilweise durchs Zentralabitur erhöht, ein „Auge zuzudrücken“ war doch damals viel leichter, weil der Lehrer einfach die Prüfung gestalten konnte, wie es ihm gepasst hat.
- „Professoren werden unter Druck gesetzt, das Stoffgebiet leichter abzuprüfen“:
Dazu fand ich nichts: Belege? Aus eigener Erfahrung fallen bei uns (Economics, Uni) teilweise 70% durch die härteren Prüfungen, konstant seit Jahren. 40% beenden das Studium nicht.
- „Es wurden Tausende von neuen Studiengängen geschaffen, damit auch jeder irgendwie durchkommt, ohne an Mathe & Co. zu scheitern“:
Das befürworte ich auch überhaupt nicht! Aber kaum ein guter Personaler kann das nicht einschätzen, deshalb sollte man sich Uni und Studienfach auch nach Signaling-Aspekten aussuchen. Die sind auch nicht ganz blöde. ;)
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Das waren jetzt mal die interessanten Punkte. Jetzt bin ich gespannt, wer noch Lust hat ehrlich zu diskutieren, statt nur seinen subjektiven Gefühlszustand darzulegen.
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