WiWi Gast schrieb am 06.03.2022:
Was mich echt noch richtig interessieren würde: Ich habe jetzt ein bisschen die Hype-Themen Machine Learning und Data Science identifiziert. Ich denke das ist ganz cool, und hat vielleicht auch ein paar echt spannende Anwendungen. Wird an ein paar Stellen im Forum schon angesprochen, aber mich würde echt mal die Meinung von jmd interessieren der auch wirklich 3Jahre+ in einem der beiden Bereiche arbeitet.
Wie sieht es denn mit mathematischen Skills aus? Wo werden die eher gebraucht?
Ist eine Fachkarriere möglich?
Wie sieht der Arbeitsmarkt aus? Überhitzt oder wirklich hot?
Ich für mich hatte den Eindruck das Data Science sehr breit gefasst ist, in manchen Stellen sind aber echte Mathe-Skills notwendig, das würde schon auf mich passen. Aber ich stelle es mir auch etwas trockener vor, und frage mich ob es wirklich Zukunft hat, bzw. man echten Mehrwert damit schafft. Ist es overhyped?
Bei ML bin ich mir da nicht so sicher wegen der Matheskills, ob es nicht eher eine Erfahrungssache ist welche Netze gut passen. Spannende, technische Anwendungen wird es schon geben, oder?
Wäre echt dankbar für Antworten von Leuten **mit 3Jahren+ Berufserfahrung**, die **Ahnung haben** :D
Der Hype in den Unternehmen ist durch. Als wir um Startup-Bereich (natürlich in Kooperation mit namhaften UBs) um 2015/2016 damit angefangen haben, wurde mit Buzzwords um sich geworfen, dass es einem die Schuhe ausgezogen hat. Und die Unternehmen haben es mehr oder wenige alle mitgemacht, weil sie erst einmal einen Anfangspunkt haben wollte.
Mittlerweile hat es sich weitestgehend normalisiert. Also die Strategiepapiere wurden verfasst, die langfristigen Ziele nach Priorität festgesetzt. Die meisten großen Unternehmen sind demnach seit, ein, zwei Jahren dabei ihre Abteilungen hochzuziehen (das dauert noch weitere ein, zwei Jahre). Daher finden sich aktuell sehr viele kontinuierliche Ausschreibungen - aber es wird genau gefiltert, wen man braucht. Es dürften locker ein paar hundert Bewerbungen auf eine Stelle kommen. Ein guter Freund von mir hat gerade ne Junior-Position in nem Co-Working-Space (Marketing) ausgeschrieben und bekommt so 20 Bewerbungen pro Tag, unter anderem auch aus Automotive und damit technischer Hintergrund.
Das war vor ein paar Jahren noch nicht so - da wurde alles eingestellt, was nicht bei drei auf den Bäumen war (und auch egal welche Fachrichtung).
Der aktuelle Trend geht ganz klar Richtung End-to-End Lösungen. Also man will auf Kundenseite weg vom reinen Projektgeschäft mit Machbarkeitsstudien, Potenzialanalysen, usw. und hin zu einer Pipeline, die auch langfristig funktioniert UND Umsatz/Effizienz bringt. Dienstleister mit einer langen IT-Historie, die das bieten können, haben hier massive Vorteile. Abgrenzungen entstehen zwischen reinen IT-Anwendungen, wie es d-fine bspw. im Banken und Versicherungsbereich tut, oder auch technischen Anwendungen (Qualitätskontrolle, Preventive Maintenance, etc. wo es auch Ingenieure, Elektrotechniker, usw. braucht um die Hardware bspw. für das Monitoring zu bauen). Das coole ist, das aus DS-Sicht, diese Grenzen verschwimmen, da sie nachgelagert geschaltet ist. Ich musste ne zeitlang permanent zwischen Bankenthemen und sehr realen Transportgütern switchen.
Bei den großen UBs ohne frühere IT/ET-Ausrichtung, die quasi den Weg anders herum gegangen (worden) sind, wird es entsprechend schwierig. Tagessätze für Data Scientists sind deshalb stark rückläufig und näheren sich den üblichen Beratern an. Die reine Data Science, also das Entwickeln und implementieren von "neuer" Algorithmik und der dazugehörigen Pipeline wird langfristig zugunsten der IT unattraktiver. Man sieht es bspw. in der Bilderkennung und auch im NLP Bereich, der sehr stark standardisiert ist (wenn man denn auch Standardanwendungen hat). Wenn man das einmal implementiert hat, geht es nur noch um die Wartung und nicht Weiterentwicklung oder gar komplette Neuentwicklung.
Soll heißen: Die Unternehmen selber beginnen langsam mit der flächendeckenden(!) Einführung produktiver Umgebungen. Die großen Dienstleister mischen die Karten neu, um sich an möglich viele Kunden zu docken. Das ist tatsächlich sinnvoll, da die neue IT/ET/DS-Welt so schnelllebig ist, dass reine, interne Lösungen langfristig nicht mehr tragbar sind (sie werden in Zukunft Umsatzträger und sind nicht nur Mittel zum Zweck). Das wird jetzt noch so ca. fünf Jahre gehen, wer sich als Dienstleister kein gutes Kundenportfolio aufgebaut hat, wird dann langfristig aus dem Markt verschwinden. Man kann es jetzt schon daran erkennen, ob ein Unternehmen versucht das alles mit seinen Mitarbeiter hier vor Ort (also Deutschland) zu lösen, oder ob sie bereits Offices in den Maschinenräumen unseres Planeten haben (noch Osteuropa, bald nur noch Asien, vielleicht mal Afrika).
Wichtig:
Gefragt im Data-Science Bereich sind nicht die Nerds, die mit der x-ten Kaggle-Competition ankommen, zig online Zertifikate vorweisen die ganzen "How-to"-Youtube-Videos herunterbeten können, sondern die Effizienz einer DS-Fragestellung für den Kunden erkennen und diese dann optimieren. Und die natürlich auch jahrelange Anwendungserfahrung in dem Bereich haben. So etwas kann man in der Diss lernen, wenn man sich darauf fokussiert hat. Wenn nicht, fängt man wohl oder übel unten an. Ein gutes git-repo ersetzt bei Bewerbungen locker die Promotion oder den Master. Sage ich als jemand mit Promotion und zweifelhaften Repos. ;) Aber ich habe auch die Programmierebene hinter mir gelassen.
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