Hallo,
ich bin derzeit PhD student in den USA, allerdings in der angewandten Mathematik und nicht in VWL.
Ich möchte aber dennoch einige Dinge richtigstellen, die prinzipiell universell gültig sind, also unabhängig vom Fachgebiet, und die hier in meinen Augen falsch oder verzerrt dargestellt werden.
Zuerst aber mal ein Wort der Vorsicht, da du dich aus einem Bologna-Bachelor heraus bewirbst: Du solltest dir die Bewerbungsmodalitäten der jeweiligen Unis ganz genau anschauen. Es gibt Unis, die akzeptieren direkte PhD-Bewerbungen aus einem dreijährigen Bachelor, es gibt aber auch welche, die bestehen auf eine vierjährige universitäre Ausbildung und geben häufig an, dass Absolventen eines dreijährigen Bachelorprogramms mind. ein Jahr Masterstudium brauchen, um sich bewerben zu können. Das ist einfach ein Resultat des US-amerikanischen Bildungssystems, in dem für den Bachelor generell vier Jahre vorgesehen sind.
Aus meiner eigenen Erfahrung heraus (insb. nach vielen Gesprächen mit verschiedenen Professoren an verschiedenen Unis) kann ich sagen, dass ein Master i.A. positiv bewertet wird, egal ob aus Europa oder den USA. Noch besser ist es, wenn der Master eine Thesis einschliesst - das hört sich für uns Europäer selbstverständlich an, jedoch gibt es in den USA viele sog. Non-Thesis Masterprogramme, bei denen man "nur" Kurse absolviert.
Forschungserfahrung wird natürlich auch sehr gerne gesehen, egal ob als Student Researcher am Lehrstuhl, als Praktikant an einem Institut oder einfach bei einem anspruchsvollen Semesterprojekt. Dabei zählt die Erfahrung an sich sehr viel und das jeweilige Fachgebiet eher weniger. Ich habe z.B. meine Masterarbeit publiziert, befasse mich jedoch im PhD mit einem Thema, das mit dem der Masterarbeit absolut nichts zu tun hat. Die Publikation an sich war aber halt wertvoll.
Abhängig von deinen beruflichen Zielen würde ich mich auch nicht zu sehr auf die absoluten Top-Unis versteifen. Das MIT, Harvard, Stanford etc. bekommen jedes Jahr Unmengen an Bewerbungen, Professoren bekommen täglich Mails von Studenten (worauf sie i.d.R. nicht antworten) und unter den Bewerbern sind viel mehr extrem gute und aussergewöhnlich vielversprechende Kandidaten, als es pro Jahr Plätze in den Programmen gibt! Das macht "Glück" als Faktor an diesen Unis wichtiger, als an etwas weniger bekannten Unis. Ein bestehender, direkter Kontakt zu einem Professor ist absolut Gold wert!!!
Ich rate dir, auch mal etwas weniger bekannte Unis anzuschauen. Dort gibt es oft auch gute und renommierte Forschungsgruppen mit viel Funding, die aber ein deutlich geringeres Bewerberaufkommen haben und wo es deutlich leichter ist, einen Kontakt zum Professor herzustellen. Und auch wenn die Bewerbungen immer zentral über das Department und durch das Admissions Committee gehen: Wenn ein Professor dort sagt, dass er dich haben will, dann wirst du i.d.R. auch angenommen.
Also: Es kann sich durchaus lohnen, nicht nur Yale und Harvard anzuschauen, sondern vielleicht auch die Michigan State, die UT Austin oder die CU Boulder - je nach Fachgebiet eben.
Ich persönlich habe es so gemacht: Ich habe mir 2-3 Unis ausgesucht, wo eine Annahme realistisch, aber dennoch eher unwahrscheinlich ist (das waren recht bekannte wie z.B. die University of Michigan und die Cornell), dann welche, wo ich solide Chance mit einer gewissen Unsicherheit angenommen habe und dann noch 2-3, bei denen ich sehr sicher war, angenommen zu werden. Diese Taktik macht natürlich nur dann Sinn, wenn ein PhD in den USA an sich einen Mehrwert darstellt und du unbedingt dorthin willst und nicht, wenn es dir ausschliesslich um Top-Forschung und Renommee geht.
In diesem Zusammenhang auch wichtig: Wie erwähnt, ist Forschungserfahrung gerne gesehen, aber es ist absolut kein Muss. Die Amerikaner selbst haben nach dem Bachelor auch sehr selten Forschungserfahrung. Man kann dadurch also herausstechen, es ist aber auch ohne definitiv realistisch.
Und noch was: In Deutschland wird man mit solchen Plänen und Ideen sehr schnell belächelt und entmutigt. Ich spreche aus Erfahrung und einige der Antworten hier zeigen es ebenfalls sehr gut... Lass' dich nicht entmutigen! Gerade Bewerber aus Europa haben in meinen Augen oft bessere Chancen in den USA, als man in Deutschland glaubt. Häufig wird ja gesagt, dass man in den USA die TUM oder die RWTH Aachen nicht kennt. Ich versichere dir das Gegenteil! An jeder größeren Uni in den USA kennt man die bekannten Unis in Deutschland auch. Ich selbst habe an der TUM studiert und als ich mich in den USA beworben habe, gab es auffallend viele Professoren die gefragt haben "Oh, by the way: Do you know X?" oder "Did you work with Y?", wobei X und Y Professoren an der TUM waren, mit denen schon zusammengearbeitet wurde (und sei es nur ein einziges Paper). In Deutschland gibt es viele gute Forscher und die kennt man natürlich auch in den USA.
Zum Schluss noch ein gut gemeinter Rat aus persönlicher Erfahrung: Ich habe meinerzeit auch überlegt, mich in Stanford wegen eines auf meinem Gebiet sehr bekannten Professors zu bewerben. Ich konnte sogar über einen ehemaligen visiting student in seiner Gruppe Kontakt herstellen. Ich habe mich jedoch letzten Endes gegen eine Bewerbung dort entschieden. Warum? Naja...so bekannte Forscher haben oft auch grosse Gruppen mit vielen PhD students. Darunter leidet einerseits die Betreuung man hat manchmal sogar nur alle drei bis vier Monate ein Meeting mit dem Advisor, andererseits herrscht daher in den Gruppen nicht selten eine ziemliche Ellenbogenmentalität. Dort sind nur sehr gute Leute mit sehr hoch gesteckten Zielen. Viele davon tun fast alles, um aus diesem Pool irgendwie herauszustechen. Freizeit gibt es i.d.R. nur sehr sehr wenig.
Und ich persönlich war schon immer sehr Nordamerika-begeistert und wollte mehr von dieser Erfahrung mitnehmen, als die grösstmögliche Menge an Papern.
Es kommt am Ende auf deine Ziele an: Es wurde schon beschrieben. Wenn Academia dein Ziel ist, dann solltest du auch in die bestmögliche Gruppe. Dort ist aber nur Schuften angesagt und eine Erfolgsgarantie gibt es nicht. Klar, wenn du in Harvard warst, bekommst du am Ende immer irgendeine Tenure-Track Position angeboten. Die ist dann aber eben vielleicht "nur" an der Utah State University und nicht z.B. an der Boston University oder der University of Washington. Dann wirst du dir sagen: "Nach Utah hätte ich auch mit weniger Aufwand kommen können."
Eine Top-Karriere in Academia ist unfassbar viel Arbeit und ein Weg mit sehr vielen Entbehrungen, der sich obendrein finanziell nur selten lohnt (im Vergleich zu Absolventen, die in die Industrie gegangen sind).
Daher habe ich mich auch entschieden, an eine Uni zu gehen, die nicht weltberühmt ist, in den USA jedoch durchaus ein sehr gutes Ansehen geniesst. Hier bin ich in einer kleineren Guppe mit angenehmer Atmosphäre. Man hilft sich gern und trifft sich auch ausserhalb der Uni mal privat. Und Zeit, die unfassbare Schönheit der Natur in den USA zu geniessen, bleibt auch. Und dennoch gehen viele Graduates meines Advisors zu sehr bekannten, grossen Unternehmen. Professor werden eher wenige - aber ich z.B. habe dieses Ziel auch gar nicht.
Das sind so meine ersten und (in meinen Augen) wichtigsten Gedanken zu dem Thema. Ich hoffe, sie helfen dir ein wenig! :)
Gerne kannst du auch weitere Fragen stellen, ich werde von Zeit zu Zeit mal im Forum vorbeischauen.
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