Wer glaubt es bestünde ein simpler umgekehrt proportionaler Zusammenhang zwischen der Dauer einer Promotion und den investierten Arbeitsstunden, hat keinen blassen Schimmer von wissenschaftlichem Arbeiten und ist wahrscheinlich noch nicht mal bei einer Masterarbeit angekommen. Und ich rede von einer Promotion ohne Nebentätigkeit, sondern einfach nur der Aufgabe "Da haben Sie ein Büro, Zeit, eine vage Idee (=suchen Sie sich ein Thema, aber es soll mir, ihrem Doktorvater gefälligst in den Kram passen) und schreiben Sie ein Buch".
Bäm. Nach dem Statement eine etwas sachlichere Erläuterung. Ganz klar ist, dass man schneller fertig wird, wenn man mehr arbeitet. Allerdings kann ich aus Erfahrung sagen, dass es einen stark abnehmenden Grenznutzen zusätzlicher Wochenarbeitszeit gibt und überdies die Arbeit nicht gleichverteilt ist. Die Crux an einem Projekt wie einer Diss - und ich rede von einer Monographie - ist, dass es keine Meilensteine gibt, die planbar wären. Das ganze Projektmanagement Gequatsche kann man in die Tonne treten (und erst wieder rausholen, wenn man ziemlich fortgeschritten ist und bereits schreibt und feste Strukturen hat)
Folgende Situation: Ihr steht am Anfang und habt, sagen wir vier Monate lang überhaupt keinen Plan was ihr eigentlich machen wollt und sollt oder ob das was ihr wollt, auch mit dem überienzubringen ist, was ihr sollt - Stichwort Doktorvater und seine Befindlichkeiten! Was zu schreiben ist, was zu lesen ist, nada, gar nix, nur so "irgendwas mit Derivaten". Eine Fragestellung? Pfff ein Königreich für eine Fragestellung! Eine geeignete (!) Fragestellung zu haben (nicht zu schmal, nicht zu weit, Daten vorhanden, zugänglich und valide, noch nicht abgegrast, passt zum Lehrstuhl, kann ich von meinen Fähigkeiten her bearbeiten...) ist mindestens ein Viertel einer Diss.
naja und diese anfänglichen vier Monate totale Planlosigkeit sind ne freundliche Schätzung. In dieser Zeit ist es ziemlich egal ob man 35 oder 65 Stunden oder 85 Stunden die Woche im Büro sitzt. "Ziemlich" heißt aber nicht vollkommen. Ich muss das Konzept des abnehmenden Grenznutzens hier wohl nicht ausführen... Dann gibt es Phasen da läuft es einfach und man hat viele Quellen, die sich zusammenfügen, hat gerade den Datensatz fertig gebastelt und kann erste Analysen laufen lassen, Hypothesen basteln oder was auch immer. Da kann man dann durchaus sagen, dass eine doppelte Arbeitszeit (die Physis setzt natürliche Grenzen) DIESE PHASE in der Länge halbiert. In diesen Phasen macht das Arbeiten aber naturgemäß Spaß und man merkt es kaum, dass man schon wieder 14h im Büro verbracht hat und muss sich auch eher zwingen heim zu gehen - ist ja auch Sonntag und so... Ihr könnt davon ausgehen, dass in diesen Phasen auch Doktoranden die keinen Berufshintergrund haben und mörderarbeitszeiten kennen, NUR arbeiten. Einfach weil es ein verdammt geiles Gefühl ist (jedenfalls wenn man wissenschaftlich motiviert ist).
Diese Phasen: Geschenkt. Woran aber nicht wenige Doktoranden verzweifeln ist der Ozean an Zeit, in dem man ja gerne produktiv sein würde, aber es kommt nichts bei rum, weil es wirkt als gäbe es nichts zu tun oder es gibt nichts zu tun oder man weiß nicht was zu tun ist und überhaupt gibt es ja auch keinen, der irgendwann mal ne Deadline setzt (je nach Doktorvater). Und Maßstäbe wie lange was dauern sollte? Gibts auch nicht. Da kocht jeder sein eigenes Süppchen (und alle kochen nur mit Wasser, so viel steht mal fest). Da können ohne weiteres mal Monate ins Land gehen, bis zu einem Gespräch mit einem Kollegen, einer Konferenz oder eben DER Quelle, die eine zündende Idee bringt.
Dann kommt dazu, dass man Abstand von der eigenen Arbeit braucht, um Zusammenhänge zu erkennen und wirklich nutzen zu können. Oft kommt man erst mit einigem Abstand zu vorher Geschriebenem auf einen Gedanken, den man vorher vor lauter Detailgedöns nicht gesehen hat ... der Wald und die Bäume, ihr wisst... Hier können zu viel Zeit im Büro und mit der Diss sogar die Dauer der Promotion in die Länge ziehen.
Dann gibt es den hübschen Effekt von Sackgassen. Yeah Turbo-Mörder viel gewerkelt und zwei Monate später: alles für die Katz. Okay, das kann immer passieren, den Faktor sollte man in der Forschung aber nicht unterschätzen. Es ist eben das Wesen der Forschung, dass man noch nicht weiß, was raus kommt oder ob was bei raus kommt.
Am Ende, wenn es in den letzten Monaten um Einleitung und Schluss sowie Fehlerkorrektur und Überarbeitung geht, gilt wieder eher ein mehr Arbeitszeit=schneller fertig. Aber wenn man erst mal so weit ist, dann ist das Kind eh geschaukelt.
Okay, das reflektiert jetzt meine Erfahrung und die meiner Kollegen im Graduiertenkolleg. Überwiegend Monographien, alles Vollzeitstipendien (keine Lehrstuhlarbeit nebenher o.ä.) und alles schon "irgendwie Forschung" in dem Sinne, dass viele danach in die Wissenschaft wollten und es also keine windigen "irgendwie das nötigste" Promotionen waren. die grundlegenden Zusammenhänge gelten aber auch für andere umfangreiche Arbeiten.
P.s @ "manchmal ärgere ich mich über weltfremde Vorstellungen der Studis und der Profs" Junge, Du bist im Elfenbeinturm. Weltfremder geht es nicht mal in der Krabbelgruppe zu.... Und Alice im Wunderland ist ne RealitySoap dagegen. Wobei... das Beratergeschäft wäre nicht so weit weg, dachte ich immer ;)
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