WiWi Gast schrieb am 27.07.2021:
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Was ihr meint ist Luxus. Haus, Porsche und finanzielle Freiheit ist eben nicht die Norm und kann auch nicht jeder schaffen.
Wo kommt diese Unzufriedenheit her? Sind alle so vom Standard gesättigt, dass sich irgendwelchen abstrusen Sehnsuchtsvorstellungen ausbreiten?
Gibt es auch noch Leute die zufrieden sind und kein fingerpointing auf Politik und Wirtschaft setzen?
Ich glaube einen großen Teil dieser Unzufriedenheit gibt es durch aus Sicht der einzelnen nicht erfüllte Aufstiegsversprechen. Da kommen zwei Faktoren zusammen: Einmal hat sich das Wachstum des allgemeinen Wohlsstands verlangsamt. Daneben ist es zu einer Inflation von Bildungsabschlüssen gekommen.
Wenn man auf die Nachkriegszeit bis zur Generation X schaut, ging es Mittelfristig immer Berg auf. Leute konnten sich immer mehr leisten. Und Kinder die eine bessere Ausbildung als ihre Eltern hatten, haben nochmal einen deutlichen Sprung bei Wohlstand/Lebensmodell/etc. gemacht. Diese Erfahrungen und Einstellungen wurde dann an die eigenen Kinder (Millenials und Z) weitergegeben. Also die Grunderwartung "dir wird es mal besser gehen als uns" und dazu "wenn du eine bessere Bildung hast als wir wirst du auch sozial aufsteigen und deine Lebensverhältnisse werden deutlich besser sein als unsere".
Viele der jetzt jungen Akademiker hatten also die Erwartung, dass es ihnen mindestens so gut gehen wird wie ihren Eltern, eher besser, wenn sie bereits aus einer Akademikerfamilie kommen. Und dass es ihnen signifikant besser gehen wird als ihren Eltern, wenn sie aus einer Arbeitfamilie kommen.
Die obengenannte Entwicklung hat aber dazu geführt, dass viele Akademiker aus Akademikerfamilien höchstens das Niveau ihrer Eltern halten konnten, oder meistens sogar abgerutscht sind. Bei Akademikern aus Arbeitfamilien gab es keinen oder kaum einen Aufstieg. Der Facharbeiter, Industriekaufmann, etc. von früher ist halt der Akademiker von heute.
Das führt dann zu viel Frustration bei denen, deren Aufstiegserwartung sich nicht erfüllt hat. Rückblickend verwundert es nicht, denn wenn die Hälfte oder mehr eines Jahrgangs studieren kann der Akademiker nicht mehr die gesellschaftliche Stellung haben, die er noch hatte als 10 - 15 % eines Jahrgangs studierten.
Die sozialen Medien die einem das dann noch regelmäßig vorhalten verschlimmern das Problem dann noch, sind aber glaube ich nicht die eigentliche Ursache.
Dazu kommt dann noch, dass Vermögen gegenüber Einkommen einen immer wichtigere Stellung bekommen, da der nivellierende Effekt des Kriegs immer weiter weiter weg rückt und sich die Vermögen auseinander entwickeln.
Ich sehe das bei mir. Meine Großeltern waren ungelernte Arbeiter. Sie hatten in den 50ern nicht viel, haben sich aber in den Jahrzehnten danach immer weiter gesteigert. Es kam ein Auto, Urlaube etc. Mein Vater war dann Facharbeiter. Das hat mit mitte 20 für eine eigene DHH im Vorort einer Großstadt gereicht. Mit 30 wurde dazu Mercedes gefahren (Jahreswagen) plus ein VW als Zweitwagen für meine Mutter und ein Motorrad. Urlaube gab es mehrere im Jahr. Ein bis zwei Wochen Wintersport und ansonsten viel an die Nordsee aber auch mal Frankreich oder Spanien.
Ich bin jetzt der erste Akademiker in der Familie und habe damit gerechnet noch mal ein bisschen aufzusteigen. Jetzt nicht auf einmal im Luxus zu leben, aber ich hätte gedacht mir im Vergleich zu meinen Eltern dann ein EFH statt DHH leisten zu können, auch Mercedes zu fahren. Vielleicht noch ein Spaßauto oder Motorrad dazu. Ähnlich viel Urlaub.
So sieht die Realität aber leider nicht aus. Obwohl wir zwei Akademiker sind könnten wir uns mit 1,5 Gehältern das Haus meiner Eltern vielleicht so gerade, mit vielen Einschränkungen bei anderen Dingen, leisten. Von einem EFH in vergleichbarer Lage muss man nicht mal träumen. Fahren tun wir VW statt Mercedes. Und Wintersport ist auch nicht mehr drin. Zwei andere Urlaube im Jahr gibt es aber schon.
Uns geht es also bei weitem nicht schlecht, aber eben auch nicht so gut wie wir auf Grund unserer Ausbildung gedacht hätten. Gleichzeitig liest und hört man gerade von den linkeren Parteien, dass wir Besserverdiener sind, die noch mehr Steuern zahlen sollen.
Das führt dann zu einer gewissen Frustration. Wie beschrieben ist es aus heutiger Sicht nachvollziehbar, dass ein Studium bei so einer hohen Zahl von Uniabsolventen keine Aufstiegsgarantie mehr ist. Trotzdem ist es manchmal schwer die Realität zu akzeptieren wenn du in dem Glauben aufgewachsen bist, dass es dir einmal besser gehen wird als deinen Eltern. Und daher kommt dann diese Frustration. Auch wenn es einem neutral betrachtet noch gut geht.
Bei den sozialen Medien sehe ich da gar keinen so großen Einfluss. Zumindest in meiner Blase schlagen sich fast alle mit den gleichen Problemen und Enttäuschungen rum.
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