WiWi Gast schrieb am 29.01.2020:
Hier nochmal der, der dir zu Meister + Selbständigkeit und wenn überhaupt, dann zum Dualen Studium geraten hat.
Ich freue mich immer, wenn ich junge und motivierte Leute sehe. Umso mehr schmerzt es daher, wenn ich diesen Leuten die Realität vor Augen halte. Ich zweifle nicht daran, dass du den Job und das Studium im Bezug auf Aufwand und kognitiver Anforderungen schaffst. Mir geht es um die Gesamtumstände. Sehr sehr häufig komme ich mit jungen Menschen ins Gespräch, die eine Lehre angefangen haben, aber erst nach einiger Zeit merken (manchmal nach 2 Monaten nach Beginn, manchmal auch erst 3 Jahre nach Abschluss), dass Arbeit meistens ziemlich scheiße ist und die Entlohnung dafür auch noch unterirdisch ist. Dann schauen sich viele nach Alternativen um, typisch sind:
- Berufsschullehrer
-Auswandern in die Schweiz, ein skandinavisches Land, Australien oder USA weil dort ja alles viel besser ist und sie dort würdige Bedingungen erwarten im Vergleich zur gemeinen Bundesrepublik
- fachfremd selbständig machen um schnell "finanziell frei zu werden" indem man "online marketing macht" oder Abnehmpillen bzw. daytrading Kurse im Pyramidensystem vertickt
- Etwas studieren was laut Internet (oder noch schlimmer laut Onkel Ludwig) später viel Kohle abwirft, man ist sich sicher dass man es schafft schließlich wusste schon Opa Heinrich dass Studenten eigentlich blöd sind und der Grund, dass man den Schulabschluss vermasselt hat ist natürlich ausschließlich weil man unreif war/es einen nicht interessiert hat/man oft feiern war/die Lehrer einen nicht mochten
Der Grund, warum ich mir Zeit für dich nehme ist, weil du von der Art wie du schreibst her sympathisch und klug wirkst, nicht so wie die meisten die ich oben beschrieben habe. Meine Empfehlungen für dich ganz persönlich hier nochmal aufgeführt:
-falls es dir wichtig ist, im Finanzbereich zu landen: mach ein Duales Studium bei einem Finanzdienstleister. Wichtig: nix unseriöses, gerne kannst du dich diesbezüglich hier im Forum vergewissern wenn du passende Angebote hast. Der Vorteil für dich ist einerseits das Gehalt während des Studiums, aber auch das ordentliche Gehalt später.
-Überleg dir, ob Berufsschullehrer für dich eine Option ist. Man wird nicht reich aber für dich wäre ein gutes Gehalt zu attraktiven Arbeitszeiten drin. Sei dir aber auch den Nachteilen bewusst
- Arbeite einfach weiter und mach dich nebenbei Selbständig. Wichtig: Nichts unseriöses wie Strukturvertrieb, online Marketing Geschichten oder sonstiger Schund. Geht man davon aus, dass du als Investmentbanker auch 70-80h die Woche arbeiten würdest, hättest neben deinem Beruf noch 30-40 Stunden. Das reicht für was ordentliches
-Mein Favorit: Bleib in deinem Bereich und bilde dich dort weiter um beruflich voran zu kommen. Ich empfehle ein Duales Studium im Bereich der chemischen Produktion oder alternativ auch was Richtung BWL bei einem Chemieunternehmen. Notfalls auch ein Fernstudium neben dem Beruf wenn du denkst dass es dir etwas bringt.
Warum empfehle ich dir ein Duales Studium so sehr? Du trägst durch deinen Lebenslauf eine hands on Mentalität nach außen. Groß akademisch scheint bei dir nicht viel zu laufen, ist aber auch nicht schlimm. Gerade beim Dualen Studium ist eine praktische Veranlagung gefragt. Deine Berufserfahrung und Ausbildung solltest du für dich nutzen (deshalb: bleib in deiner Branche). Fürs IB bist du zu alt und abgenutzt, da gibt's jüngere mit besseren Noten. Die gibt's auch beim Duales Studium, aber gegen die kannst du dich durchsetzen wenn du deine Story als Praktiker verkaufst. Ist ja auch nicht so, dass die Branche schlimm ist. Schätz dich glücklich wenn du in der Chemiebranche bleibst, dort werden sehr sehr gute Gehälter gezahlt und im Vgl zu vielen anderen wie den Autobauern hast du mehr Sicherheit.
Cheers
Hey, danke, für die Komplimente und dass du dir die Zeit genommen hast!
Dass der IB-Bereich ein ehrgeiziges unterfangen ist, steht außer Frage. Mit meinem jetzigen Profil läuft die Wahrscheinlichkeit gegen 0%. Um zu deinen Punkten zu kommen:
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Berufsschullehrer fällt für mich weg. Auf Dauer wäre die einzige Vielfalt/Herausforderung ein Schüler, bei dem an den sozialen Kompetenzen geschraubt werden müsste. Und mir jeden Tag Hysterie von Eltern, Sozialarbeitern und sonstigen Institutionen anhören zu müssen...da halte ich viel Abstand von und zolle jedem Sozialarbeiter der das macht meinen Respekt.
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Sicherlich kann man im Ausland (auch) glücklich werden und einige Zeit in der Schweiz, oder gar Irland zu verbringen scheint mir persönlich ein schöner Gedanke. Unsere BRD hat seine Macken, so wie jeder Staat und jedes Unternehmen, aber die (theoretischen) Möglichkeiten, die ich in DE geboten bekomme, wünschen sich mindestens 3,5Mrd. andere Menschen. Ich breche mir den Arm und werde geflickt; Steuerabgaben so hoch? Ja scheiße, dann such dir was zum Absetzen...man muss "das System" für sich nutzen und ohne politisch zu werden: man kann in DE getrost sein Ding durchziehen, man muss nur wissen wie man die Gegebenheiten für sich nutzt und genau das will ich eben machen.
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Unsinn...und am besten noch mit einem iPad auf der Strandliege :D Ne, von solchen Vorstellungen distanziere ich mich.
- Onkel Ludwig ist dann meist der, der in diesem Moment sein eigenes Versagen umschreibt. Ausloten was man will und dann Ehrgeiz an den Tag legen ist die bessere Variante. Sonst droht der geistige Zerfall.
Ein duales Studium scheint mir tatsächlich eine Option, wobei Verfahrenstechnik sehr chemielastiger, staubtrockener Stoff ist (die Ausbildungsinhalte sind da ungefähr die ersten zwei Tage des ersten Semesters). Darauf ist mir in Bezug auf Chemie die Lust vergangen. Projektorientiertes Arbeiten hört sich da deutlich spannender an, weil man den Erschaffens- und Aufbauprozess einleitet und vorantreibt. Im BWL-Bereich ist das ganze mit Zahlen einfach nochmal deutlich erkennbarer. Außerdem ist die Wirtschaft sehr verzweigt und die Logik zu ergründen, zu verstehen und das Bestmögliche rauszuholen ist das, was mich interessiert.
Selbstständigkeit ist tatsächlich erstrebenswert (Erschaffens- und Aufbauprozess, Vertrieb, Durchhaltevermögen, Geduld und Ehrgeiz... um nur ein paar Sachen zu nennen, die mich reizen). Nur hier wieder die Frage: welche Richtung kam dir da per se in den Sinn?
In der Wirtschaft brauche ich ganz klar erstmal Erfahrung und im besten Fall noch potentielle Kontakte. In der Chemie- und Industrieentsorgung brauchst du ohne 10Mio. Startkapital nicht anfangen. Maschinen, Anlagen, geeigneter Arbeitsplatz mit versiegeltem Boden, weiter gehts mit Genehmigungen nach zig Verordnungen (Emissionen/Immissionen, Lagerfläche, Gefahrstoffe/Gefahrgut, evtl. Bürgermitspracherecht usw usf). Vielleicht betrachte ich das ganze von einer falschen Perspektive, deshalb wäre es interessant zu wissen, was euch für eine Idee in den Sinn kommt, wenn es um das Thema Selbstständigkeit geht.
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