Die ganze Diskussion lässt sich auf zwei Faktoren reduzieren:
a) Ästhetik der äußeren Erscheinung: Es gibt Menschen, die ästhetische Ansprüche an ihr Äußeres stellen und dies auch in ihrer beruflichen Kleidung umsetzen. Die Kleidungsstücke sollen dabei nicht nur für sich genommen einem gewissen qualitativen, ästhetischen und handwerklichen Anspruch genügen, sondern sich auch zu einem stimmigen Ensemble zusammenfügen. Wer diesen Anspruch an sich selbst stellt, stellt ihn oft auch an andere. Wer davon nichts hält, weil er eine solche Ästhetik nicht erreichen kann oder will, der bringt logischerweise auch kein Verständnis dafür auf, wenn andere sich damit beschäftigen.
b) Signalsendung durch Bekleidung: Insbesondere unter Menschen, die einander nicht kennen, sendet Kleidung ein Signal. Wer als X erkennbar sein will, der muss auch wie X aussehen. Dies gilt vor allem für den ersten Eindruck. Unter Menschen, die einander schon seit langem kennen, spielt dieser Effekt nicht mehr dieselbe Rolle, da Vertrauen an die Stelle des ersten Eindrucks getreten ist. Im Berufsleben habe ich es aber immer wieder mit neuen Erstkontakten zu tun. Es ist naiv zu unterstellen, dass Fremde einander im ersten Eindruck nicht auch anhand der Kleidung und ihres Zustands einordnen. Kleidung kann auch Verbundenheit schaffen, wenn sich eine Gruppe von Menschen an eine gemeinsame Kleidungslinie hält. Es gibt Arbeitgeber, die diesen Effekt durch eine (implizite oder explizite) Kleidungsvorschrift verbindlich machen. Siehe das Beispiel "Anzughose und Hemd".
Die Kluft zwischen denen, denen diese beiden Themen gleichgültig zu sein scheinen, und denen, die darauf Wert legen, ist groß.
"Die einfachere Antwort wäre wohl: fein und schick aussehen, aber halt praktisch und bequem genug um arbeiten zu können."
Ein "Anzug" bedeutet doch lediglich, dass Sakko und Hose aus demselben Stoff sind. Daraus ergibt sich ein stimmigeres Gesamtbild, insbesondere in Kombination mit einer Krawatte. Weshalb sollte man in einer solchen Kombination weniger "bequem" arbeiten können als in jeder anderen Zusammenstellung von Kleidungsstücken? Ich verstehe das wirklich nicht. Klassische Anzughosen sitzen bequemer als hautenge Jeans. Und in meinem Sakko kann ich das Mobiltelefon und einige Kleinigkeiten verstauen, die ich ansonsten einzeln herumtragen müsste. Beides steigert die Bequemlichkeit. Unbequem sind nur solche Kleidungsstücke, die nicht richtig sitzen.
"Sich im Anzug volldatteln steigert nicht zwangsläufig die Arbeitsleistung, und manche Leute sehen auch in anderer Bekleidung schick und professionell aus. Klar, ein Anzug ist ein Klassiker und lässt jeden Mann besser aussehen, er hat ja auch kaschierende Eigenschaften wenn die Statur des Einzelnen vielleicht etwas zu wünschen übrig lässt"
Was bedeutet "volldatteln"? Man nimmt eine Hose und ein Sakko und zieht beides an. Was ist daran "vollgedattelt"?
"Ich erkenne Menschen als Gesamtheit ihres Verhaltens, aber versuche tunlichst anhand einer konkreten Handlung auf die Gesamtperson zu schließen."
Das ist sinnvoll, funktioniert aber nur, wenn man einander kennt. Im ersten Eindruck eines Fremden hast Du keine Möglichkeit, das Gesamtverhalten über eine längere Zeit zu beobachten. Mir ist keine einzige Person bekannt, die ihre Kleidung wie Dreck behandelt, aber sonst ein superordentlicher Typ ist. Mir ist es völlig unverständlich, wie man sein eigenes Äußeres im Umgang mit anderen derart vernachlässigen kann, wie es beim "Gebundenlassen von Krawatten" im übertragenen Sinn vorgeschlagen wurde. Mir persönlich ist es ja egal, wie Ihr Eure Kleidung behandelt, aber es ist bei einer solchen Verhaltensweise kein Wunder, wenn man den Arbeitstag schon schlecht gelaunt startet, weil man eine fertig gebundene Krawatte um den Hals zuzieht.
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