Ich bin ebenfalls bei Bain - und war zur Zeit meines Berufseinstieges in derselben Situation wie du. Ich hatte mich für Bain und gegen BCG entschieden, weil mir Bain im Laufe des Recruiting-Prozesses wesentlich sympathischer und ehrlich gesagt auch professioneller vorkam.
Würde ich die Entscheidung nochmal so treffen? Weiß ich nicht.
Um dir ein bisschen Kontext zu geben:
Bain ist Nachzügler auf dem deutschen Markt. Vor ~10 Jahren konnte man in Deutschland tatsächlich nicht von MBB sprechen. Mittlerweile sieht das meines Ermessens nach anders aus. Bain wächst in Deutschland mit irrem Tempo (40% letztes Jahr!), was der Tatsache geschuldet sein dürfte, dass es für Bain kein tragbarer Zustand sein kann/konnte, auf dem mit Abstand größten Consulting-Markt Europas so wenig präsent zu sein, und entsprechend "Push" von der Mutterfirma kommt.
Dennoch besteht, was die Größe angeht, ein erheblicher Aufholbedarf (bzw, im Berater sprech, Wachstumspotential ;) ) zu BCG und McK. Das drückt sich primär darin aus, dass wir in einigen Branchen noch nicht bzw. kaum vertreten sind.
Um mal auf deine Punkte einzugehen:
1) Freundliche/Coole Kollegen, die sehr locker drauf sind
"Sehr" locker dürfte im Consulting niemand drauf sein - aber die Kultur ist definitiv viel angenehmer als bei McK. Ob sie tatsächlich besser ist als die bei BCG weiß ich nicht - ich fühle mich aber sehr wohl in meinem Kollegenkreis. Und auch die meisten (nicht alle) Vorgesetzten mag oder mochte ich.
2) Höhe der Leave program Förderung (MBA/PhD möchte ich nicht machen aber sehr gerne mal einen Office wechsel für ein Jahr oder Soziales/Umweltengagement
Da sehe ich Bain tatsächlich deutlich vorne. Es gibt da sehr gute und großzügig geförderte Programme. Beim Office-Wechsel gibt es aber noch immer ein "Backlog" durch Corona, das sollte sich, sobald das Thema bei dir relevant wird, aber aufgelöst haben.
3) Arbeitsbelastung, d.h. wie viel Druck, wie hohe Arbeitszeiten bzw. wie viel wird wirklich (ab von jeglichen Marketingversprechungen) getan um eine "bessere" WLB zu ermöglichen?
Offiziell gilt die oben beschrieben 10-8-6-Regel. Meine Erfahrung mit meinen eigenen Projekten geht in die Richtung, dass sie bei einem Dritten der Projekte gut eingehalten wird, es bei einem weiteren Dritten ernsthaft versucht wird und es beim letzten Drittel geradewegs ignoriert wird.
Aktuell sind viele Projekte "understaffed" - wir verkaufen mehr, als wir eigentlich Leute haben. Das macht die Sustainability leider oft schlechter, weil eine geringere Zahl an Leuten im Prinzip denselben Workload schultern muss. Wird sicher irgendwann besser (unsere Recruiting-Ziele werden ständig nach oben geschraubt), aber bis das Früchte trägt dauert es etwas.
4) Wie strikt ist das Up or Out, d.h. wie schnell wird man bei schlechter performance im worst case entlassen?
Meiner Meinung nach einer der größten Pluspunkte von Bain: Dadurch, dass wir so stark wachsen, wird eigentlich niemand herausgecoacht, wenn die Person nicht gerade Arbeitsverweigerung betreibt, und man hat deutlich bessere Chancen, weiterzukommen/ befördert zu werden - einfach weil wir wie verrückt Leute brauchen.
Meinem Eindruck nach hat man es bei uns auch als "junger Partner" leichter, sich sein eigenes Feld aufzubauen, einfach, weil noch nicht alle Nischen und interessanten (potenziellen) Accounts besetzt sind.
5) Gehaltsentwicklung im Zeitverlauf, zum Einstieg geben sich beide nicht viel (Bain leicht besser)
Bis Anfang diesen Jahres haben die Manager und Senior Manager bei uns ~10-20% weniger verdient als die gleichrangigen Kollegen bei BCG. Diese Lücke wurde inzwischen geschlossen. Gehaltstechnisch geben sich beide Firmen also mittelfristig nicht viel bzw. nichts. Ab Partner-Ebene zählt ohnehin primär das, was du an Projekten ranholst - es gibt Bain-Partner, die ein Vielfaches mancher BCG-Partner verdienen, und umgekehrt. Aber als Berufseinsteiger über das Partner-Gehalt auch nur nachzudenken wäre in meinen Augen sehr naiv - unterstelle dir keine Naivität, du hast ja nicht danach gefragt :-)
6) Exitmöglichkeiten nach ca. 3/4 Jahren
Kommt echt drauf an, was du machen willst. Bei PE/VC sehe ich Bain vorne, bei Start-Ups dürfte es egal sein und in der Industrie/ in Konzernen ist BCG klar vorne.
7) Mitspracherecht bei Staffing, möchte keinen starken PE/Finance Fokus, da das nicht ganz meine Bereich ist (habe das bereits bei Bain angesprochen und es wurde gesagt, dass das kein Problem ist da sie dafür die PE ring fence haben)
Also: Jeder will PE machen. Staffing ist um jeden froh, der das *nicht* will. Kein PE zu machen dürfte also kein Problem sein ;) Ich sehe den sehr gut organisierten Ringfence (PE hat, anders als bei den anderen Großen, eine sehr gute WLB bei uns) allerdings als großen Pluspunkt bei Bain.
Was das Mitspracherecht ansonsten angeht: Du musst schon damit rechnen, auch mal auf Projekte gesteckt zu werden, die du nicht machen willst, und dazu gehört auch insbesondere der sehr unbeliebte Insurance-Bereich (Projekte wenig interessant und langwierig, oft schwierige Kunden, WLB auch tendenziell eher schlecht bis "worst of Bain"). Insurance ist aber auch bei BCG und McK in den letzten Jahren stark angewachsen, das ist kein Bain-exklusives Phänomen.
Weitere Punkte, die ich in Erwägung ziehen würde:
- Die Projektauswahl ist bei uns sehr eingeschränkt. Manche Industrien werden, wie gesagt, (noch) gar nicht bedient.
- Der Bekanntheitsgrad. McK kennt auch die Oma auf dem Land, BCG immer noch sehr viele, Bain kein Schwein. Ich bin kein Prestigemensch, aber es ist schon etwas frustran manchmal, dass das eigene Umfeld und auch Neubekanntschaften den eigenen Job so gar nicht einschätzen können.
- PE ist der Unique Selling Point bei uns. Das ist das, was wir tatsächlich deutlich besser machen als die anderen und wo wir wesentlich größer sind (RMS von 3!). Leider ist es sehr schwer geworden, in besagten Ringfence reinzukommen, wenn man nicht zu denen gehört, die es von Anfang an machen (die New Starter werden auf die beiden "Staffing Pools" verteilt).
Kurz und knapp (nicht MECE):
Pro Bain: Interne Karrierechancen, Kultur (tendenziell), Leave/Flex-Optionen, PE
Pro BCG: Bekanntheitsgrad, Exit-Optionen, Projekt- und Industrieauswahl
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