WiWi Gast schrieb am 09.03.2023:
Also so entspannt wie du bin ich nicht, was wahrscheinlich daraus rührt, dass mein Gesamtportfolio aus 80% thesaurierenden ETFs besteht und 20% Einzelaktien (deren Dividende den Sparerpauschbetrag verbrauchen).
Sie es mal so - im nächsten Jahr verbrauchst du deinen Sparerpauschbetrag eben schon durch die Vorabpauschale zu Jahresbeginn. Im Gegenzug zahlst du dann eben im Jahresverlauf auf deine Aktiendividenden die volle Kapitalertragssteuer ;-)
Will heißen: der negative Zinseszinseffekt bezogen auf deine thesaurierienden ETFs wird dadurch zumindest abgemildert.
Durch die Vorabpauschale, zahlst du Beiträge auf fiktive antizipierte Gewinne und müsstest im Zweifel einen Verlustvortrag geltend machen und ETFs/Aktien mit Gewinn verkaufen, um nicht schlechter dazustehen als ohne Vorabpauschale.
Komplett fiktiv sind die Gewinne ja nicht. Auf Fondsebene werden ja durchaus "reale" Erträge erzielt (=Aktiendividenden der Unternehmen, in die der Fonds investiert ist). Nur leitet der ETF die Erträge hier eben nicht an die Anleger weiter. Man kann sich da nun streiten, ob der Begriff "fiktiv" hier noch korrekt ist. Vom Grundsatz her ist deine Argumentation natürlich nicht gänzlich falsch ...
Der größte Betrug ist aber, dass man durch die Vorabpauschale weniger vom Zinseszins-Effekt profitiert. Bei einer Laufzeit von mehreren Jahrzehnten ist das eine enorme Summe, die auf einen fiktiven Gewinn gezahlt wird. Gewinn gibt es ja erst bei Veräußerung.
Die goldene Regel "Gewinn/Verlust hat man erst, wenn man verkauft" gilt dann nicht mehr. Der Verlust durch die Vorabpauschale ist real auch ohne Verkauf.
Der Basiszins für 2023 steht auch schon fest: 2,55%.
Habe gerade mal geexcelt:
Bei Anlagezeitraum von x Jahren und einem gleich bleibenden Basiszins von 2,55% und einer Rendite von 6% im Jahr verliert man y % Gesamtrendite:
10 Jahre --> -3%
20 Jahre --> -6%
40 Jahre--> -12%
Bei einem Basiszins von 4% (prinzipiell denkbar, wenn man sich die historischen Leitzinsen anschaut):
10 Jahre --> -5%
20 Jahre --> -9%
40 Jahre --> -18%!!!
Das ist der alleinige Zinszinseffektverlust! Also der Staat würde in diesem Beispiel nicht einen Cent mehr einnehmen, aber klaut dem Sparer die Option des Zinseszins und nutzt ihn für sich selbst.
Habe deine Rechnung nicht nachvollzogen - wird also schon stimmen. Allerdings rechnest du jetzt wohl nur den negativen Effekt (=Vorabpauschale) der Investmentsteuerreform ab 01.01.2018) ein. Die Wahrheit ist viel mehr:
1: Auch vor 2018 erzielten und bescheinigten thesauriende Fonds/ETFs ausschüttungsgleiche Erträge (=fiktiver Ertrag ohne tatsächlichen Geldzufluss auf das Konto des investierten Anlegers), die man in der Steuererklärung angeben musste. Diese Erträge musste man gelegentlich selbst im Bundesanzeiger nachschauen usw. Zuweilen war dieses Verfahren schon sehr bürokratisch und viele Anleger haben deswegen vermutlich auch "vergessen" diese Erträge zu versteuern.
2: Im Gegenzug werden bei Veräußerung 30% des Gewinns teilfreigestellt und von der Besteuerung ausgenommen. Hast du das in deiner Berechnung berücksichtigt? Ich denke dann sieht das schon deutlich anders aus - in manchen Szenarien bist du mit der neuen Systematik seit 2018 auch besser gestellt als vorher.
3: Der zukünftige Effekt aus der Vorabpauschale lässt sich kaum antizipieren oder prognostizieren und das wird sehr volatil bleiben. Denn in Jahren mit insgesamt negativer Wertentwicklung wird keine Vorabpauschale berechnet (selbst bei Basiszins >0%) und der Basiszins war seit 2018 durchweg auch sehr gering oder sogar 0, so dass 2023 das erste Jahr ist, bei dem hieraus materielle Beträge entstehen könnten.
Bevor hier der Verdacht aufkommt: ich will den Gesetzgeber keineswegs verteidigen und das ist häufig auch Murks was da an neuen Gesetzen auf den Weg gebracht wird.
Aber die Investmentsteuerreform ab 2018 erscheint mit in Summe die ETF/Fonds-Anleger geringfügig etwas besser zu stellen als vorher (insb. die Teilfreistellung), und v.a. vereinfacht sie einige Dinge doch stark.
Viel schlimmer und für den Anleger nachteilig war die Einführung der Abgeltungssteuer zum 01.01.2009. Die älteren Semester wie ich werden sich noch erinnern: Veräußerungsgewinne für Wertpapiere (primär Aktien), die bis zum 31.12.2008 erworben worden sind, sind und bleiben komplett steuerfrei (mit Ausnahme von Fonds/ETF, wo der Gesetzgeber mit der Investmentsteuerreform einen persönlichen, lebenslang gültigen Freibetrag von 100.000 EUR eingeführt hat).
Jemand anders schrieb:
Der Staat nimmt die Leistungsträger die den Spaß finanzieren immer mehr aus. Die heutige relativ junge Generation darf extreme Abgaben zahlen, zeitgleich die vor dem Kollaps stehende staatliche Rentenversicherung finanzieren und soll (oder eher muss) dann noch für sich selbst vorsorgen. Diejenigen die all das tun dürfen dann per Vorabpauschale noch mehr Steuern zahlen.
Wie ich oben dargelegt habe, wird bei der aktuellen Gesetzlager die Besteuerung in Summe nicht viel höher, ggf. niedriger, sein als vorher (zwischen 2009 und 2017) - nur im Zeitverlauf verlagert sich die Besteuerung geringfügig weg vom Zeitpunkt der Veräußerung auf vorherige Jahre. Aber wenn man auf die Vorabpauschale "verdammt" sollte man im Gegenzug die Teilfreistellung bitte nicht als "gegeben" hinnehmen, denn beides wurde mit der Investmentsteuerreform zum 01.01.2018 eingeführt.
Btw. wenn man einen Extremfall konstruiert, in dem ein Aktienfonds genau einen Einzeltitel enthält, würde die Wertentwicklung dieses Fonds logischerweise genau dem des Einzelwerts folgen. Ein Investor des Fonds wäre dann viel besser als ein "Direktaktionär" gestellt, denn der Aktionär muss die vollen Erträge besteuern (Dividenden, Kursgewinne), wohingegen der Fondsanleger aufgrund der Teilfreistellung nur 70% besteuern müsste. Zugegeben würden die vom Unternehmen an den Fonds gezahlten Dividenden, sofern es sich um einen Deutschland domizilierten Fonds handelt, nach der neuen Systematik auf Fondsebene besteuert (15%, wenn ich mich erinnere), was die Performance des Fonds gegenüber dem Aktionär etwas schmälern würde. Sofern aber der überwiegende Teil der Performance aus Kursgewinnen resuliert ist der ETF/Fonds-Anleger hier klar besser gestellt und zahlt weniger Steuern als der Aktionär.
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