Der Investmentausblick 2023 von Savills Research ist da und hat es in sich:
Während 2022 vom Zinsschock geprägt war, dürften 2023 die Vermietungsmärkte in den Vordergrund rücken. Die Konjunkturdelle wird die Flächennachfrage an den Gewerbeimmobilienmärkten dämpfen und die Leerstände werden zumeist steigen. Folglich nimmt der Abwärtsdruck auf die Mieten zu. Wegen gestiegener Ansprüche und hoher Inflation bleiben die Flächen für die Nutzer trotzdem knapp und teuer. Für Wohnungen gilt das erst recht.
"Wir müssen darauf gefasst sein, in einer Zukunft zu leben, in der alles anders ist als bisher". Mehr Unsicherheit geht nicht. Gesagt hat diesen Satz der Ägyptologe Jan Assmann, jemand, der sich Zeit seines Lebens mit der Menschheitsgeschichte beschäftigt hat. Sein "bisher" umspannt Jahrtausende, nicht bloß ein, zwei Immobilienzyklen, und das verleiht seiner Aussage umso mehr Gewicht. Die Zukunft scheint also außergewöhnlich offen zu sein, vielleicht offen wie nie. Für langfristige Entscheidungen, und dazu gehören Immobilienentscheidungen, ist das ein denkbar schlechtes Umfeld. Wie offen die Zukunft auch immer sein mag, für solche Entscheidungen bedarf es eines Ausblicks, der über ein "alles könnte anders sein" hinausgeht.
Nun, gerade weil die Zukunft ungewöhnlich offen ist, bedarf es eines scharfen Blickes auf die jüngsten Entwicklungen, um diese Offenheit begrenzen zu können. Dass alles anders sein könnte als bisher, heißt nicht, dass alles möglich ist. Ganz in diesem Sinne wollen wir hier unsere Beobachtungen zum deutschen Immobilienmarkt teilen und davon ausgehend einen Orientierungsrahmen dafür abstecken, was die Marktakteure aus unserer Sicht in den kommenden Jahren erwarten könnte.
Makroumfeld
Die allgegenwärtige Unsicherheit unter den Immobilienmarktakteuren kommt nicht von Ungefähr. Die Märkte sind mit einem Makroumfeld konfrontiert, das in dieser Konstellation einmalig ist. Das beginnt schon bei der Inflation, die seit den 1970er Jahren nicht mehr so hoch war wie derzeit. Vor allem aber fällt eine schwächer werdende konjunkturelle Dynamik mit steigenden Zinsen zusammen. Zwei Impulse, die negativ auf Immobilienwerte einwirken und die einander normalerweise ausgleichen, wirken damit nun erstmals parallel. In gewisser Weise ist das die Umkehr des Post-Finanzkrisenumfelds, das sich durch geringe Inflation, fallende Zinsen und zumeist hohe wirtschaftliche Dynamik auszeichnete.
In unserem Basisszenario, das die Grundlage für alle unsere folgenden Ausführungen zu den Immobilienmärkten bildet, gehen wir davon aus, dass Deutschland im Winter eine milde Rezession durchmacht und anschließend wieder moderat wächst. Das Beschäftigungsniveau bleibt hoch und die Arbeitslosigkeit nimmt nur geringfügig zu. Allerdings überwiegen in diesem Szenario unserer Einschätzung nach die Abwärtsrisiken, nicht zuletzt mit Blick auf den Winter 2023/24, in dem ein erneuter Gasmangel drohen könnte. Auch die Inflationsprognose unterliegt dieser Unsicherheit, weil sie überwiegend von den Energiepreisen getrieben ist. Wir unterstellen hier, dass die Inflationsdynamik schon im nächsten Jahr deutlich nachlässt und das Inflationsziel der Europäischen Zentralbank von 2 % im Jahr 2024 zumindest wieder in Sichtweite gerät. Damit geht einher, dass der Zinsgipfel fast erreicht ist und die Leitzinsen mittelfristig bei etwa 2 % liegen werden. Auch hier ist in unseren Augen ein ungünstigerer Verlauf sehr viel wahrscheinlicher als ein günstigerer Entwicklungspfad. So ist zum Beispiel denkbar, dass die zu beobachtenden Deglobalisierungstendenzen ebenso wie die begonnene Dekarbonisierung der Wirtschaft dafür sorgen, dass die Inflation für längere Zeit über dem Zielniveau bleibt. So oder so ist Deutschland dieses Mal kein Krisengewinner. Im Gegenteil: Wegen ihrer Export- und Energieabhängigkeit leidet die deutsche Volkswirtschaft besonders unter dem aktuellen Makroumfeld und es könnte sogar sein, dass das bisherige Geschäftsmodell der Industrie- und Exportnation grundsätzlich bedroht ist und einer Transformation bedarf.
Wohnimmobilienmarkt
An den Wohnungsmärkten hat das neue Makroumfeld den Ausblick wohl am gravierendsten verändert. Die Nachfrage nach Mietwohnungen hat sich mitnichten abgeschwächt, wie noch zu Beginn des Jahres absehbar schien. Aufgrund des Zuzugs ukrainischer Geflüchteter ist Deutschlands Bevölkerungszahl erstmals auf über 84 Mio. Menschen gestiegen. Zudem gehen aktuelle Bevölkerungsprognosen, etwa von der Deutschen Bank, auch zukünftig von einer hohen Zuwanderungsquote und somit von einer weiterhin steigenden Wohnraumnachfrage aus. Wegen der stark gestiegenen Finanzierungskosten können sich zudem viele Haushalte den Erwerb eines Eigenheims nicht mehr leisten und bleiben Mieter.
Die Angebots-Nachfrage-Relation gerät somit so stark aus dem Gleichgewicht wie selten zuvor. In den nächsten Jahren gehen wir daher davon aus, dass die ohnehin schon sehr niedrigen Leerstandsquoten an den meisten Mietwohnungsmärkten weiter fallen und die Mieten steigen. Aus Sicht von Vermietern bleiben die fundamentalen Rahmenbedingungen nicht nur vorteilhaft, der Ausblick hat sich gegenüber letztem Jahr sogar verbessert.
Allerdings wird die gesellschaftliche Brisanz dieser Entwicklungen sehr wahrscheinlich die Politik auf den Plan rufen.
Jüngst beschlossen wurde bereits eine Anhebung der linearen Afa von 2 % auf 3 %. Für Mietwohnungsneubauten, die den EH-40-Standard und die Anforderungen des Qualitätssiegels Nachhaltiges Gebäude (QNG) erfüllen, lassen sich zukünftig über vier Jahre sogar jeweils 5 % der Baukosten abschreiben. Diese und möglicherweise noch anstehende Beschlüsse werden zwar kurzfristig keinen Effekt auf die Zahl der Fertigstellungen haben, mittelfristig könnten sie die Bautätigkeit im Mietwohnungsbau aber deutlich ankurbeln.
Wir halten es daher für denkbar, dass in der nächsten Legislaturperiode tatsächlich schon wieder 400.000 Wohnungen pro Jahr fertiggestellt werden.
Da eine stärkere Regulierung immer auch als Markteintrittsbarriere wirkt, festigen solche und ähnliche regulatorische Eingriffe den defensiven Anlagecharakter von Wohnimmobilien. Sie kappen das zwar Mietwachstumspotenzial, wirken aber gerade dadurch angebotsverknappend und sorgen so für sehr sichere und stabile Erträge. Für risikoaverse Investoren bleibt der Markt damit prinzipiell attraktiv.
Vor dem Hintergrund der anvisierten Klimaziele für den deutschen Gebäudebestand, die bislang deutlich verfehlt werden, könnte aber auch hier der regulatorische Druck wachsen. Von Sanierungsanreizen bis hin zu Nutzungsverboten, wie es sie in anderen europäischen Ländern bereits gibt, ist hier eine Reihe an Maßnahmen denkbar. Diese betreffen nicht mehr nur die Ertrags-, sondern auch die Kostenseite und stellen damit eine völlig andere Art von Risiko dar. Eliminieren lässt sich dieses Risiko nur mit dem Kauf von Neubauten oder energetisch sanierten Bestandsgebäuden, so dass risikoaverse Investoren noch stärker auf diesen Teil des Marktes setzen dürften.
Sollten tatsächlich regulatorische Eingriffe erfolgen, die die Eigentümer älterer Bestände zur Sanierung zwingen, wären mit dem damit einhergehenden bürokratischen und finanziellen Aufwand mutmaßlich vor allem kleinere Eigentümer überfordert. Viele von ihnen könnten sich dann zugunsten größerer Bestandshalter aus dem Markt zurückziehen und einen Konsolidierungsprozess in Gang setzen.
Risikoloser Zins wieder renditeträchtiger als Immobilienrendite
Auf welchem Niveau Käufer und Verkäufer zusammenfinden, bleibt offen. Wir sind davon überzeugt, dass sich der 200 bis 250 Basispunkte umfassende Zinsanstieg nicht eins-zu-eins in die Immobilienanfangsrenditen übersetzen wird. Schaut man sich die Differenz zwischen der Rendite 10-jähriger Bundesanleihen und der Spitzenrendite für Büroimmobilien über einen sehr langen Zeitraum an (Büroimmobilien stehen hierbei stellvertretend für Immobilien als Anlageklasse), so stechen die letzten Jahre deutlich heraus (siehe Abbildung Risikoloser Zins und Immobilienanfangsrendite). Im Durchschnitt lag die Bürorendite zwischen 2008 und 2021 mehr als 300 Basispunkte über der Anleiherendite. Bis Ende 2022 schmolz sie dann auf etwa 100 Basispunkte zusammen. Mit Blick auf die letzten zehn Jahre mag dieser Puffer gering erscheinen, nicht jedoch im Vergleich zu den Dekaden vor der Finanzkrise. Zwischen 1991 und 2007 betrug er durchschnittlich nur etwa 20 Basispunkte.
Vor diesem Hintergrund deuten wir die hohe Differenz zwischen Immobilienrenditen und risikolosem Zins, die sich nach der Finanzkrise ausgebildet hat, als einmalige historische Anomalie. Sie ist nach unserer Einschätzung hauptsächlich durch die ultralockere Geldpolitik der Europäischen Zentralbank und insbesondere ihr aktives Eingreifen an den Anleihemärkten zu erklären. Spätestens ab dem Jahr 2015, als die EZB mit umfangreichen Staatsanleihekäufen begann, wurde die Bundesanleiherendite künstlich niedrig gehalten. Die Differenz zu den Immobilienanfangsrenditen war dadurch stark verzerrt.
Mit der nun begonnenen Normalisierung der Geldpolitik dürfte sich dieser Zustand auflösen und der Anstieg der Immobilienrenditen wieder flacher ausfallen als jener des risikolosen Zinses.
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