WiWi Gast schrieb am 04.11.2022:
Das war auch schon bei den Boomern sehr typisch. Teilweise jedoch konnte in den ersten 10 Jahren gar nichts getilgt werden, da es nicht solch spottgünstige Finanzierungen gab, wie aktuell. Da hat man in den ersten 10 Jahren schon einmal den Kaufpreis als Zinslast geleistet und man hatte immer noch 100% Schulden.
WiWi Gast schrieb am 04.11.2022:
Meine Eltern hatten ihr Haus nach rund 20 Jahren abbezahlt. Aber das war a) in einer Kleinstadt und b) war mein Vater da schon über 40 und hatte bereits 15 Jahre als Lehrer gearbeitet und c) beide Elternteile noch eine gewisse Unterstützung bekommen. Das Reihenendhaus hat damals (1992) 450 Tsd Mark gekostet, die Zinsen müssten geschätzt irgendwo bei 7-8% gelegen haben. Heute müsste man in meiner Heimatstadt für einen vergleichbaren Neubau vllt max 500 Tsd Euro zahlen (ländliche Region abseits des Booms).
Ich bin mir daher sicher, dass die Erschwinglichkeit einer Immobilie im dortigen Ort heute weitaus größer ist, als sie das damals war. Die Gehälter damals waren vllt halb so hoch, das darf man nicht vergessen.
Meine Eltern fuhren in meiner Kindheit zwei alte, eher heruntergekommene Autos (Überlassungen der Eltern, VW Jetta bzw Opel Corsa) und ich kann mich erinnern, dass wir im Jahr nur eine Woche im Urlaub waren und ins Restaurant es nur bei Familienfeiern ging. 3 Kinder sind eben teuer. Meine Kleidung war zu meinem Ärger die der Brüder und die wiederum mussten die ersten Jahre in einer Mietwohnung im Haus der Großeltern verbringen und bekamen erst mit dem Umzug ein eigenes Zimmer.
Die Wahrheit ist, wenn wir heute leben würden wie früher, dann wären auch Monatsraten von >2000 Euro für viele Familien kein Problem. Mit etwas Eigenkapital könnte dann auch zu den gestiegenen Zinsen in vielen Gegenden noch problemlos Eigentum erworben werden (München oder Frankfurt sind jetzt nicht unbedingt die allgemeingültige Referenz) Die Ansprüche sind heute nur höher. Mehrmals im Jahr Urlaub, Privatschule, Restaurantbesuche mit der ganzen Familie, Nachhilfe, Förderkurs XY. Gab es früher alles nicht. Da ging man auf die staatliche Schule und zum Fußballverein und hat die Kleider der älteren Geschwister getragen. Ich war schon privilegiert, weil ich immerhin neue Kickschuhe bekam, während die Mannschaftskameraden meistens bereits getragene Schuhe bekamen. Teuer war nur der Musikverein, aber auch dort wurden die Instrumente möglichst kostengünstig im Verein weitergegeben.
Das Problem sehe ich eher bei den gestiegenen Energiekosten. Da reden wir von unglaublichen Summen, die ungeschützt der alten Oma mit karger Rente plötzlich das Haus nehmen.
Heute sind meine Eltern auch großzügiger und gehen öfters in Restaurant oder gönnen sich auch mal teure Urlaube. Es hat sich mit der Zeit durch Sparsamkeit, Erbe und Investitionen am Aktienmarkt eben Kapital angesammelt. Ich denke, dass das nicht nur meinen Eltern so geht. Und dann entsteht eben das Bild,der reichen Boomer (wobei mein Vater eigentlich schon älter als die Boomer ist), weil nur das heutige Leben betrachtet wird, aber die Entbehrungen der Vergangenheit bereits im Vergessenheit geraten sind. Jedenfalls ist es ein Zerrbild. Der Boomer hatte es auch am Arbeitsmarkt extrem schwer. Ausbildungsplätze waren rar und Jahrgänge stark. Man hat genommen, was man bekam. Die Arbeitslosigkeit stieg in den 80er-Jahren sukzessive an und erreichte selbst im Westen in den 90ern 10%. Da waren nicht nur Schwachmaten wie heute darunter. Viele verloren ihren Job und sind mit der Zeit dem Alkohol verfallen.
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