Man muss das auch alles mal in dem Kontext der heutigen Gesellschaft und des Zeitgeistes sehen. Da hat sich sehr, sehr viel verändert. Früher reicht es aus, der oder die schönste aus dem Dorf zu sein, heute werden globale Maßstäbe angelegt. Hier ein Artikel, der das alles in Beziehung setzt und das IMHO sehr klar illustriert.
Ich zitiere:
"Das magische Dreieck der Postmoderne: Geld, Sex, Aufmerksamkeit
Das größte Verbrechen der Postmoderne am Menschen ist der Raub seiner Privatheit. Ein öffentliches Kraftfeld aus Geld, Sex und Aufmerksamkeit, welches von einer zumeist unsichtbaren Masse etabliert wurde, ist an die Stelle von physischen und geistigen Rückzugsräumen getreten. Die Welt hat sich in einem sehr niederen Sinne individualisiert, denn jeder muß schauen, irgendwie besonders zu wirken, damit ihn seine Umwelt wahrnimmt. Frustrierend ist, daß es anscheinend keine Alternativen zu diesem magischen Dreieck Geld, Sex und Aufmerksamkeit gibt.
?Geld regiert die Welt!?, das weiß mittlerweile schon jedes Kind. Aber das stimmt nicht ganz, denn was hilft großer Reichtum, wenn man einsam ist? Sicherlich, alles ist käuflich, aber vollkommen befriedigend dürften sowohl gekaufte Liebe als auch gekaufte Freunde nicht sein. Deshalb muß das Sprichwort erweitert werden: ?Geld, Sex und Aufmerksamkeit regieren die Welt!?
Geld: ?Mein Haus, mein Auto, mein Boot?
Beim Geld ist dies am einfachsten einzusehen. Wir definieren uns über Statussymbole und wünschen uns, größtmögliche Befriedigung unserer materiellen Bedürfnisse. ?Mein Haus, mein Auto, mein Boot?, hieß es in einer Werbung der Sparkasse Ende der 90er-?Jahre.
Der französische Skandalautor Michel Houellebecq deutet in seinem Roman ?Ausweitung der Kampfzone? jedoch an, weshalb neben dem Geld der Sex eine Art Parallelwährung ist: ?Der Sex, sagte ich mir, stellt in unserer Gesellschaft eindeutig ein zweites Differenzierungssystem dar, das vom Geld völlig unabhängig ist; und es funktioniert auf mindestens genauso erbarmungslose Weise. (?) In einem völlig liberalen Wirtschaftssystem häufen einige wenige beträchtliche Reichtümer an; andere verkommen in der Arbeitslosigkeit und im Elend. In einem völlig liberalen Sexualsystem haben einige ein abwechslungsreiches und erregendes Sexualleben; andere sind auf Masturbation und Einsamkeit beschränkt. Der Wirtschaftsliberalismus ist die erweiterte Kampfzone, das heißt, er gilt für alle Altersstufen und Gesellschaftsklassen. Ebenso bedeutet der sexuelle Liberalismus die Ausweitung der Kampfzone, ihre Ausdehnung auf alle Altersklassen und Gesellschaftsklassen.?
Sex: Die Meßlatte liegt viel zu hoch.
Die Verinnerlichung des Sexualsystems läuft in unserer kaum mehr zwischen privat und öffentlich unterscheidenden Gesellschaft über Indoktrination. Durch ständigen ? bewußten oder unbewußten ? Konsum von Sexualität trainieren uns Werbung, Alltagskultur, Fernsehen und andere Medien ein hoch sensibilisiertes Verhältnis zu unserem Körper an. Die Meßlatte liegt dadurch enorm hoch, so daß sie fast jeder reißt. Frustration ist also für die Masse vorprogrammiert, denn kaum einer kann seine körperlichen Bedürfnisse in der Weise befriedigen, wie es ihm öffentlich vorgegaukelt wird.
Wir erleben ein ?Theater der Körper?, welches eine Elite aufführt, die höchsten Wert auf dessen Optimierung legt. Die Masse kann dem nicht folgen, aber die Idealbilder haben einen enormen sexuellen Erwartungsdruck zur Folge, der letztendlich zu einem Weniger an tatsächlicher Lust führen dürfte. Der kolumbianische Reaktionär Nicolás Gómez Dávila überspitzte diesen Punkt wie folgt: ?Erotismus ist die sexuelle Aktivität des Impotenten auf dem Kadaver der Sinnlichkeit.?
Aufmerksamkeit: Hunderte Bekanntschaften, aber keine Freunde
Neben den körperlichen Bindungen hat sich auch die Suche nach sozialen Kontakten in der Massengesellschaft, die keine festen Gemeinschaften mehr kennt, verändert. Über Humor, Extravaganz, Integrität und dem Herausstellen unserer (Pseudo)-Individualität kämpfen wir um das knappe Gut Aufmerksamkeit unserer Mitmenschen. Aufmerksamkeit ist jedoch nur ein kurz? bis mittelfristig wirksames Surrogat für intensive zwischenmenschliche Beziehungen. ?Hauptsache anerkannt?, lautet das Motto der jungen Leute von heute, ?und wenn möglich auch einmal 15 Minuten berühmt.? Für was man eigentlich Aufmerksamkeit bekommen möchte, gerät dabei in den Hintergrund. Natürlich hat ein virtuoser Cellist es verdient, für sein Talent besonders beachtet zu werden. Mit welcher Berechtigung aber drängt sich ein gewöhnliches 16jähriges Mädchen mit schiefer Stimme in die Öffentlichkeit?
Dem Kampf um Geld, Sex und Aufmerksamkeit liegt ein kurz? bis mittelfristiges Denken zugrunde, welches auf ideelle Güter und wahrhaft überindividuelle Ziele verzichtet. Alle, die diesen Gesetzen der Postmoderne nicht folgen, haben es äußerst schwer. Denn einerseits ist für sie ein Schritt zurück in die Vergangenheit unmöglich beziehungsweise wäre nur Folklore, andererseits ist es für einen Menschen, der über sich selbst hinaus wirken möchte, nicht befriedigend in eine Gegenwelt zu flüchten.
Ein neuer Zauber des Privaten ist notwendig.
Doch vor der Lösung aller anderen Probleme unseres Gemeinwesens gilt es, sich und sein Umfeld von der Anziehungskraft dieses magischen Dreiecks der Gegenwart zu befreien. Das bedeutet nicht, daß es keinen Einfluß auf unser Leben mehr haben darf. Seine Beschränktheit müssen wir jedoch erkennen und deshalb den Blick für Metaphysisches weiten und den Kampf um unsere Privatsphäre aufnehmen. Der erste Schritt kann nur im Privaten erfolgen.
Wie schwierig dies unter den gegebenen gesellschaftlichen Umständen ist, hat der Soziologe Wolfgang Sofsky in seiner Streitschrift ?Verteidigung des Privaten? herausgearbeitet, indem er auf die politische Dimension des Raubs von persönlichen Rückzugsräumen hingewiesen hat. Sofsky meint, ?daß das Private unter ideologischem Verdacht steht. Unpolitische Bekenntnisse, Wahlabstinenz, Gleichgültigkeit gegenüber dem Machttheater, Verweigerung des Applaus ? dies zählt als Verrat an der Demokratie.? Dem ist nur eins hinzuzufügen: Nicht nur unsere Politiker sind Feinde der Privatheit ? nein, viel schlimmer: vielleicht sind wir alle gerade dabei, uns gegenseitig unsere privaten Rückzugsorte zu zerstören. Ein Erhalt dieser Räume ist nur durch eine Entzauberung des magischen Dreiecks Geld, Sex, Aufmerksamkeit möglich. Leider hat noch niemand den richtigen Zauberstab gefunden.
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